
Bild: © Prof. Dr. Martin H. Spitzner
Experte im Bauprofessor-Gespräch ist Prof. Martin H. Spitzner, Obmann des Normungsausschusses NA 005-56-91 AA „Wärmetransport“. Von diesem Normungsausschuss ist im Juni 2019 das neu erarbeitete Beiblatt 2 der DIN 4108, das sogenannte Wärmebrücken-Beiblatt, herausgegeben worden. Was sich geändert hat, warum diese Änderungen notwendig waren und warum sie genau jetzt notwendig waren, das sind die Fragen, die Prof. Dr. Spitzner im Bauprofessor-Gespräch beantworten wird.
Bauprofessor: Beginnen wir mit dem Zeitpunkt. Warum ist die DIN 4108 Beiblatt 2: Wärmebrücken – Planungs- und Ausführungsbeispiele genau jetzt neu überarbeitet worden?
Prof. Dr. Martin H. Spitzner: „Es gab das bisherige Wärmebrücken-Beiblatt von 2006, das ist aber inzwischen etwas überholt. Grund ist, dass die Dämmdicken stärker sind als seinerzeit, sodass das bisherige Beiblatt bei den heutigen Dämmdicken an vielen Stellen nicht mehr im Gültigkeitsbereich war. Auch haben sich etliche Konstruktionen verändert, sodass manche Bauweisen in dem bisherigen Wärmbrücken-Beiblatt gar nicht abgebildet waren.“
Bauprofessor: Spielte bei der Überarbeitung des Beiblattes 2 der DIN 4108 auch eine Rolle, dass in Deutschland ein neues Gebäudeenergiegesetz geplant ist und auch die EU-Gebäuderichtlinie überarbeitet werden soll?
Prof. Dr. Martin H. Spitzner: „Ja, genau, wir hatten die Überarbeitung gestartet im Hinblick darauf, dass wir für den ENEV-Nachfolger auch ein Wärmebrücken-Beiblattbrauchen, das an aktuelle Bauweisen und an aktuelle Dämmniveaus angepasst ist. Das war die Zielperspektive als die Arbeit begonnen wurde.“
Bauprofessor: Was wurde in der DIN 4108 Beiblatt 2 hauptsächlich geändert?
Prof. Dr. Martin H. Spitzner: „Die auffälligste Änderung ist, dass wir das Wärmebrücken-Beiblatt wesentlich erweitert haben, durch Konstruktionen und Anschlüsse, die vorher nicht enthalten waren, z. B. Tiefgaragenanschlüsse und Innenbauteilanschlüsse, um nur mal zwei Gruppen zu nennen.
Wir haben uns bemüht, wirklich alle Bauteilanschlüsse abzudecken, sodass es jetzt wirklich nur noch selten Fälle gibt, bei denen man einen Bauteilanschluss hat, den man nicht im Beiblatt wiederfindet. Das bedingt natürlich, dass das Heft jetzt stark gewachsen ist.
Was wir auch geändert haben ist, dass wir die obere Dickenbegrenzung bei allen Dämmstoffen und auch bei allen Wandbildnern gestrichen haben. Das bisherige Beiblatt hatte immer eine Spanne z. B. von 10 bis 16 cm Dämmstoff. Wir haben jetzt keine obere Grenze mehr, um das Beiblatt zukunftskompatibel für weiter ansteigende Dämmdicken zu haben.“
Bauprofessor: Was beinhaltet die Aussage „wesentlich erweitert“ noch?
Prof. Dr. Martin H. Spitzner: „Alle Referenzwerte sind neu gerechnet und neu festgelegt worden. Denn die Referenzwerte hängen natürlich davon ab, wie die Bauteilanschlüsse aufgebaut sind. Da sich die Bauteilanschlüsse geändert haben und aktualisiert wurden, haben sich auch alle Referenzwerte geändert.
Und wir haben außerdem zwei Kategorien A und Beingeführt, die unterschiedliche energetische Niveaus bei den Wärmebrücken beschreiben. Das ist in DIN 18599 Teil 2 gespiegelt, dort gibt es also ebenfalls diese zwei Kategorien von Wärmebrücken, die dann durch das Wärmebrücken-Beiblatt unterfüttert werden und die zu unterschiedlich hohen Wärmebrückenzuschlägen führen. Um diese Kategorisierung möglich zu machen, musste sie auch im Wärmebrücken-Beiblatt durchgezogen werden.“
Bauprofessor: Im Bereich der Fensteranschlüsse gibt es im neuen Wärmebrücken-Beiblatt auch eine deutliche Veränderung.
Prof. Dr. Martin H. Spitzner: „Ja, beim rechnerischen Nachweis von Fensteranschlüssen gibt es zukünftig zwei Möglichkeiten. Eine stark vereinfachte geometrische Modellierung und eine sehr detaillierte Modellierung, bei der der Querschnitt durch den Fensterrahmen detailliert modelliert wird. Sodass man sich entscheiden kann, ob man über die vereinfachte Geometrie oder die detaillierte Geometrie nachweist. Weil sich die Rechenergebnisse unterscheiden, gibt es für jede Variante einen eigenen Referenzwert. Der Nachweis gilt dann auch für Fenster, die eine größere Bautiefe haben, die wir aber im Beiblatt nicht abbilden können, weil das den Umfang sonst gesprengt hätte. Daher ist jetzt eine Bautiefe abgebildet, der Nachweis gilt dann aber auch für größere Bautiefen.“
Bauprofessor: Realisiert wird das detaillierte Modell im Beiblatt über sogenannte Referenzrahmen…
Prof. Dr. Martin H. Spitzner: „Die Referenzrahmengelten für eine Rahmenmaterialgruppe. Das heißt, wenn Sie z. B. ein Aluminiumfenster haben, dann rechnen Sie mit dem Aluminium-Referenzrahmen nach und der Nachweis gilt dann für beliebige Aluminiumfenster. Das heißt, Sie müssen nicht den exakten Querschnitt Ihres jeweiligen Fensters wissen, weil zum Zeitpunkt, wo der Wärmebrückennachweis gebraucht wird, beim Erstellen des Energieausweises, liegt der oft noch gar nicht fest.“
Bauprofessor: Das Wärmebrücken-Beiblatt ist voll mit bildlichen Planungs- und Ausführungsbeispielen, was aber, wenn eine Konstruktion gebaut werden muss, die in Ihren Bauteilabmessungen von den angegebenen Beispielen abweicht. Gibt es dann auch eine andere Möglichkeit den Gleichwertigkeitsnachweis zu erbringen?
Prof. Dr. Martin H. Spitzner: „Die Systematik ist so, dass man entweder den bildlichen oder den rechnerischen Gleichwertigkeitsnachweis bestehen muss. Welchen ist egal. Es gibt auch keine Wichtung oder Wertung zwischen beiden. Man kann das auch innerhalb eines Gebäudes von Wärmebrücke zu Wärmebrücke anders machen. Da ist man völlig frei. Es gibt aber z. B. Situationen, in denen man den bildlichen Gleichwertigkeitsnachweis nicht erfüllt, weil z. B. die Dämmdicken oder die Dämmstoffanordnung nicht so gegeben sind wie im abgebildeten Beispiel. Dann kann man eine Wärmebrückenberechnung durchführen, eine zweidimensionale numerische Analyse, und das Ergebnis mit dem Referenzwert vergleichen. Ist das Ergebnis höchstens so hoch wie der Referenzwert, dann hat man die Gleichwertigkeit auch bestätigt.“

Bildschirmfoto: Baunormenlexikon DIN 4108 Beiblatt 2
Bild: © f:data GmbH
Bauprofessor: Alles in allem eine enorme Arbeit, die da im Normungsausschuss NA 005-56-91 AA „Wärmetransport“ geleistet wurde. Wie wurden die vielen Änderungen erarbeitet und umgesetzt? Wie viele Mitarbeiter haben daran gewirkt?
Prof. Dr. Martin H. Spitzner: „Im Ausschuss sind wir etwa 25 Mitarbeiter. Wir haben nach intensiver Diskussion am Anfang eine Kerngruppe gebildet, die sich federführend um die einzelnen Aspekte gekümmert hat. Das waren sechs bis acht Personen, die je nach Fragestellung, die Arbeit maßgeblich betreut und durchgeführt haben. Es gab von diesem Kreis immer wieder Rückmeldungen und eine enge Abstimmung mit dem Ausschuss, wo dann das neue Wärmebrücken-Beiblatt beschlossen wurde.“
Bauprofessor: Vielen Dank, Prof. Dr. Spitzner, für diese umfangreichen Informationen zum neuen Wärmebrücken-Beiblatt (DIN 4108 Beiblatt 2)!