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Auch wenn der Auftraggeber verpflichtet ist, Bauleistungen eindeutig und inhaltlich erschöpfend auszuschreiben, darf der Auftragnehmer ein erkennbar lücken- bzw. fehlerhaftes Leistungsverzeichnis nicht ohne Weiteres akzeptieren. Er muss vielmehr eigenständig nachfragen und etwaige Zweifelsfragen vor Abgabe seines Angebots klären und sich insbesondere ausreichende Erkenntnisse über die vorgesehene Bauweise (Art und Umfang) verschaffen.
Der Sachverhalt
Das Oberlandesgericht Celle musste über einen Sachverhalt entscheiden, bei dem ein (öffentlicher) Auftraggeber umfangreiche Erdbauarbeiten für den Neubau einer Bundesstraße ausgeschrieben hat. In einer Position des Leistungsverzeichnisses heißt es, dass das zu bearbeitende Erdreich nach „LAGA Z 1.1" einzustufen sei. In den Vergabeunterlagen wird auf ein beigefügtes Schadstoffgutachten verwiesen, in dem es zum Schwermetallgehalt wörtlich heißt: "Allein fünf Werte liegen gemäß der Klassifikation der LAGA über Z 2, vier Werte entsprechen Z 2 und elf Z 1.2". Der Auftragnehmer gibt sodann sein kalkuliertes Angebot ab und erhält den Zuschlag. Er lässt anschließend ein eigenes Gutachten über die Schadstoffbelastung erstellen, wonach der Boden der Einbauklasse „Z 1.2“ zuzuordnen ist. Der Auftragnehmer macht nun die entsprechenden Mehrkosten in Höhe von über EUR 1,3 Mio. geltend. Als sich der Auftraggeber mit Hinweis auf das ursprüngliche Angebot weigert, die Mehrkosten zu zahlen, erhebt der Auftragnehmer Zahlungsklage.
Die Entscheidung
Das OLG Celle weist die Klage ab (Urteil vom 20.11.2019, Az.: 14 U 191/13). Denn das Leistungsverzeichnis war offenkundig widersprüchlich. Der Auftragnehmer darf sich nach Ansicht des OLG Celle nicht allein auf die Formulierung "Einstufung gemäß LAGA Z 1.1" verlassen. Dies ist mit der Baubeschreibung nicht in Einklang zu bringen. Dem Auftragnehmer hätte vielmehr bewusst sein müssen, dass im Ergebnis unklar bleibt, welche Bodenverhältnisse der Auftragnehmer seiner Kalkulation zugrunde legen musste. Demnach durfte der Auftragnehmer nicht ohne Klärung mit einem Boden der Klassifizierung „LAGA Z 1.1“ kalkulieren. Eine Pflicht des Bieters im Ausschreibungs- und Angebotsstadium auf im Leistungsverzeichnis enthaltene Fehler hinzuweisen, besteht grundsätzlich nicht. Allerdings folgt aus dem Grundsatz des Gebots zu korrektem Verhalten bei Vertragsverhandlungen eine Prüfungs- und Hinweispflicht des Auftragnehmers, wenn die Verdingungsunterlagen offensichtlich falsch sind. Unterlässt der Auftragnehmer in einem solchen Fall den gebotenen Hinweis und legt seiner Kalkulation gewissermaßen "ins Blaue" oder sogar "spekulativ" die für ihn günstigste Leistung zu Grunde, um so ein entsprechend attraktives Angebot abzugeben, ist er nicht im Sinne eines enttäuschten Vertrauens schutzwürdig und nach dem Grundsatz von Treu und Glauben gehindert, Zusatzforderungen zu stellen.
Die Bedeutung
In einem Bauvertrag wird grundsätzlich bestimmt, welche Leistungen der Auftragnehmer zu den vereinbarten Preisen auszuführen hat. Der Auftragnehmer muss sich daher bereits in der Kalkulationsphase mit sämtlichen Ausschreibungsunterlagen umfassend auseinandersetzen und darf sich insbesondere nicht darauf beschränken, nur die in den einzelnen Positionen des Leistungsverzeichnisses beschriebenen Leistungen zu verpreisen. Sofern und soweit das Leistungsverzeichnis hierfür keine eigenständige Position enthält, müssen die "passenden" Preispositionen einkalkuliert werden, die sich etwa aus einem der Ausschreibung beigefügten (Baugrund-)Gutachten ergeben. Wenn dies unter kalkulatorischen Gesichtspunkten nicht möglich ist, muss der Auftragnehmer nachfragen bzw. die Ausschreibung als vergaberechtswidrig rügen.