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Trotz der allgemein bekannten Gefährlichkeit von Blindgängern und der Häufigkeit spektakulärer Entschärfungen insbesondere in den vergangenen zwei Jahrzehnten wird mitunter die Pflicht zur förmlichen Beantragung einer Kampfmittelüberprüfung übersehen. Die Planungsleistung der Architektin oder des Architekten ist aber mangelhaft, wenn eine solche Kampfmittelanfrage und infolgedessen etwa nötige Kampfmittelsondierungen unterbleiben oder die einschlägige Aufklärung und Beratung hierzu unzureichend ist. Unser Gastautor, Rechtsanwalt Dr. Andreas Neumann aus Münster in Westfalen, empfiehlt daher die standardmäßige Überprüfung dieser Frage bei ausnahmslos jedem Bauprojekt.
Zehntausende Blindgänger sind in der Bundesrepublik Deutschland noch zu entdecken und zu entschärfen. Die USA haben die zur Identifikation der Verdachtsflächen nötigen Luftbildaufnahmen nach und nach zur Verfügung gestellt. Die Antragstellung auf Überprüfung des Baugrundstücks nach Kampfmitteln – kurz Kampfmittelanfrage genannt – ist daher eine ganz zentrale Pflicht von Architektinnen und Architekten, auch wenn der Vertrag hierzu schweigt.
Baudame oder Bauherr bedient sich zur Erfüllung dieser Pflicht regelmäßig eines Architekturbüros. Durch ein erstelltes Baugrundgutachten – oft kürzer als Bodengutachten bezeichnet, wird die Pflicht nicht erfüllt, da ein Baugrundgutachten andere Zielsetzungen hat. Durch ein Baugrundgutachten sollen unter anderem die Tragfähigkeit und Belastung des fraglichen Bodens und die Grundwasser-Situation geklärt werden.
Bodenverunreinigungen betreffen meist größere Flächen, Blindgänger hingegen nur einzelne Punkte. Stichpunktartige Überprüfungen mögen für ein Baugrundgutachten mitunter reichen, nicht aber für eine Kampfmittelüberprüfung. Selbst wenn Rammkernsondierungen für das Baugrundgutachten durchgeführt wurden, kann nach der Rechtsprechung aus einer fehlenden Explosion nicht geschlossen werden, der Boden sei frei von Kampfmitteln. Das kann lediglich Glück gewesen sein, und auf Glück darf man sich nicht verlassen.
Nur in Sonderfällen kann sich eine Architektin oder ein Architekt mit einer fehlenden Kennzeichnung der Verdachtsflächen im Bebauungsplan entlasten. Vorangegangene Bauarbeiten auf dem fraglichen Grundstück lassen die Pflichtverletzung hingegen nicht entfallen, auch hier kann es lediglich glücklichen Zufällen zu verdanken sein, dass ein Blindgänger nicht explodiert ist.
Bei Verletzung der Pflicht zur Kampfmittelanfrage kann es zur zivilrechtlichen Haftung gegenüber dem Auftraggeber / der Auftraggeberin, zur öffentlich-rechtlichen Verantwortlichkeit und sogar zur Strafbarkeit kommen. Zugunsten von Auftraggeberinnen und Auftraggebern streitet die Vermutung beratungskonformen Verhaltens. Ihr Anspruch auf Schadensersatz kann sich daher sowohl aus dem Aspekt des Unterlassens der Kampfmittelanfrage selbst als auch aus dem Aspekt der unzureichenden Beratung ergeben. In besonderen Fällen kommt auch eine deliktische Haftung wegen Baugefährdung in Betracht.
Sofern der Anspruch auf Schadensersatz nicht verjährt ist, schuldet die Architektin oder der Architekt den Ersatz der Mehrkosten, die daraus erwachsen, dass eine etwa nötige Kampfmittelsondierung nachgeholt werden muss. Diese Mehrkosten sind insbesondere dann erheblich, wenn dafür die bereits errichteten Gebäude oder Teile davon wieder abgerissen und neu errichtet werden müssen.
Hinweis: Wer noch mehr zum Thema "Kampfmittelanfrage als Kardinalpflicht von Architektinnen und Architekten" erfahren will, kann in den Zeitschriften BauW – Heft 3|2021 und/oder NZBAU 1/2022 nachlesen. Dort beleuchtet der Autor das Thema noch ausführlicher.