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Bei der Geltendmachung des Schadens am eigenen Auto, der bei einem Verkehrsunfall entstanden ist, reicht die Darlegung der voraussichtlichen Reparaturkosten gegenüber dem Unfallverursacher bzw. dessen Versicherung aus. Der Nachweis über die erfolgte Reparatur braucht nur dann erbracht zu werden, wenn auch die Umsatzsteuer geltend gemacht werden soll, § 249 Abs. 2 S. 2 BGB. Dies ist nach wie vor der Fall und wird auch auf absehbare Zeit so bleiben. Hintergrund ist die sogenannte Dispositionsfreiheit des Geschädigten, die gemeinhin anerkannt ist. Danach ist es ins freie Belieben des Anspruchsberechtigten gestellt, ob eine Reparatur erfolgt oder er das zur Abgeltung des Schadens erlangte Geld anderweitig verwendet.
Wie es im Verkehrsrecht und auch im Kaufrecht immer noch Gang und Gäbe ist, so war es auch im Baurecht lange Zeit gängige Methode, die Höhe eines ersatzfähigen Schadens, der bereits in Mängeln eines Bauwerks gesehen wird, nach den Mängelbeseitigungskosten zu bemessen, auch wenn diese Mängel gar nicht beseitigt werden sollten. Man spricht insoweit von fiktiven Mängelbeseitigungskosten..
Diese Berechnung war für die Bauherren in der Regel günstiger und einfacher. Im Prinzip genügte die Vorlage von seriösen Angeboten. Die Einholung teurer Sachverständigengutachten über den mängelbedingten Minderwert eines Bauwerks war dann nicht erforderlich. Diese Methode war auch bei Richterinnen und Richtern beliebt und führte zudem zu erheblich höheren Schadensersatzbeträgen als die Begutachtung des mängelbedingten Minderwerts, da eine Mängelbeseitigung beim Bau häufig kostenträchtige Vor- und Nacharbeiten erfordert, insbesondere auch die Einbeziehung anderer Gewerke.
Damit ist nun aber im Baurecht weitgehend – zumindest für nach dem Inkrafttreten der Schuldrechtsreform am 01.01.2002 geschlossene Bau- und Werkverträge – Schluss. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteilen vom 22.02.2018 – VII ZR 46/17 (zu einem BGB-Vertrag) und vom 21.06.2018 – VII ZR 173/16 (zu einem VOB-Vertrag) – entschieden, dass der in einem Baumangel liegende Vermögensschaden des Bauherrn der Höhe nach nicht mehr nach den fiktiven Mängelbeseitigungskosten bemessen werden kann.
Begründet wird diese Rechtsprechungsänderung mit dem Bereicherungsverbot bzw. der sogenannten Überkompensation des Geschädigten: Der abstrakte Ersatz von Mängelbeseitigungskosten, die konkret gar nicht anfallen, stellt den Besteller besser, als dieser bei mangelfreier Herstellung durch den Unternehmer stünde.
Ein Mangel des Werks ist eigentlich ein Leistungsdefizit, weil das Werk hinter der eigentlich geschuldeten Leistung zurückbleibt. Selbst wenn man dieses Leistungsdefizit bereits als Vermögensschaden ansieht, so sagt dies doch noch nichts über dessen Höhe aus. Die Schadensbemessung nach fiktiven Mängelbeseitigungskosten bilde das Leistungsdefizit im Werkvertragsrecht – insbesondere im Baurecht – nicht zutreffend ab, so der BGH. Vielmehr führe sie häufig zu einer Überkompensation und damit einer – nach allgemeinen schadensrechtlichen Grundsätzen nicht gerechtfertigten – Bereicherung des Bestellers. Der Aufwand einer Mängelbeseitigung hänge von vielen verschiedenen Umständen ab und könne die vereinbarte Vergütung, mit der die Parteien das mängelfreie Werk bewertet hatten, sogar deutlich übersteigen. Es bildet das beim Besteller bzw. Bauherrn ohne Mängelbeseitigung verbleibende Leistungsdefizit daher nicht gerecht ab.
Die Schadensberechnung ist im Falle eines Baumangels somit umzustellen. Entweder es wird die Differenz zwischen dem (hypothetischen) Wert der geschaffenen Sache ohne Mangel und der tatsächlich vorliegenden Sache mit Mangel ermittelt. Oder man geht von der für das Werk vereinbarten Vergütung aus und schätzt den Minderwert des Werks wegen des nicht beseitigten Mangels anhand der Vergütungsanteile, die auf den mangelhaften Teil der Leistung entfallen. Im Falle der Weiterveräußerung kann der Schaden auch nach dem konkreten Mindererlös der Sache bemessen werden, der auf den Mangel zurückzuführen ist. Dies bereitet allerdings Schwierigkeiten, zumal ein Mehr- oder Mindererlös stets auch auf entsprechendes Verhandlungsgeschick zurückzuführen ist.
Der Bauherr kann weiterhin anstelle des Schadensersatzes auch Vorschuss zur Mängelbeseitigung verlangen, über den nach Mängelbeseitigung dann abzurechnen ist. Er ist andererseits aber auch weiterhin nicht verpflichtet, die Mängel beseitigen zu lassen. Allein die Durchsetzung des Mängelschadens im Falle der Nichtbeseitigung ist nunmehr erschwert, was insbesondere bei bereits laufenden Klageverfahren zumindest zu Mehraufwand, mitunter auch zu Komplikationen führt.
Der VII. Zivilsenat des BGH betont, dass diese Entscheidung den Besonderheiten des Baurechts geschuldet ist. Spannend bleibt, ob der für das Kaufrecht zuständige V. Zivilsenat des BGH an der bisherigen Rechtsprechung zur Dispositionsfreiheit festhalten oder sich aus Gründen der Überkompensation diesem Wandel anschließen wird.