Landen Streitigkeiten am Bau vor Gericht, kostet das regelmäßig viel Zeit, Geld und Nerven. Der Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht, Dr. Christian Behrens, erläutert ein alternatives Verfahren zur Streitbeilegung nach der SOBau 2020 – das Schlichtungsverfahren.
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Streitigkeiten in Bausachen müssen möglichst rasch beigelegt werden. Sei es, um den Bauablauf nicht unnötig zu verzögern oder die eigene Liquidität nicht zu strapazieren. Sie vor einem staatlichen Gericht auszutragen, verbietet sich daher fast schon von selbst: Baustreitigkeiten nehmen viel Zeit in Anspruch, produzieren erhebliche Kosten und führen doch nur selten zu Ergebnissen, mit denen auch nur eine der Parteien uneingeschränkt zufrieden ist.
Das Schlichtungsverfahren
Eine Alternative zu langwierigen, kostspieligen Gerichtsverfahren ist das Schlichtungsverfahren nach der SOBau (Schlichtungs- und Schiedsordnung für Baustreitigkeiten der Arbeitsgemeinschaft für Bau- und Immobilienrecht im Deutschen Anwaltverein – ARGE Baurecht), das im Folgenden erläutert werden soll.
Nachstehende §§ ohne Gesetzesangabe sind solche der SOBau 2020.
Phasen einer Schlichtung
Entgegen landläufigen Vorurteilen („moderiertes Kaffeekränzchen“ usw.) handelt es sich bei der im Buch 2 – Schlichtung der SOBau 2020 geregelten Schlichtung um ein strukturiertes, in Phasen ablaufendes und von verschiedenen Prinzipien geprägtes Verfahren:
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Eröffnung
Zu Beginn sind die Rahmenbedingungen zu klären und zu vereinbaren, etwa eine Schlichtungsvereinbarung zu treffen (sofern nicht bereits im Bauvertrag geregelt), Honorarfragen zu klären oder auch Abreden über den Ablauf der weiteren Schlichtungsverhandlung (z. B. wann und wo spricht wer mit wem usw.) zu treffen.
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Themenklärung
Anschließend sind die den Parteien wichtigen Themen zu klären: Worüber möchten beide sprechen? Welche Probleme wollen die Vertragsparteien lösen? Welche Ziele verfolgen sie letztlich?
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Interessenklärung
Werden in der „Themenklärung“ noch allgemein wichtige Themen wie „Geld“ oder „Bauzeit“ gesammelt, geht es in der „Interessenklärung“ ins Detail: Wer will was genau und warum (z. B. „Zahlung in Höhe von X bis zum …, ansonsten droht …“, „Fertigstellung bis spätestens zum…, sonst Schaden in Höhe von …“)? Hierbei ist auch zu ermitteln, ob es den Parteien tatsächlich ausschließlich um Sachthemen geht oder nicht auch um persönliche Befindlichkeiten, was in der Praxis häufiger der Fall ist, als gemeinhin angenommen wird. Die Interessenklärung ist „Herzstück“ der Schlichtung, denn sie ist notwendige Grundlage für die sich anschließende Lösungssuche.
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Lösungssuche
Hier sind die Parteien gefragt. Anders als bei einer Mediation unterstützt der Schlichter die Parteien bei der Suche nach Lösungen. Die Lösungssuche ist ein kreativer Prozess. Denkverbote gibt es hier nicht – ganz im Gegenteil! Beide Seiten sollen (ergebnis-)offen und frei versuchen, miteinander (!) neue Wege zu finden, um letztlich gemeinsam zu einer für beide annehmbaren Lösung zu gelangen.
Hierbei kann die Schlichtungsperson „im Einvernehmen mit den Parteien diese einzeln und auch in Abwesenheit der jeweils anderen Partei befragen“ (§ 11 Abs. 2), sollten z. B. Gespräche der Parteien zwischenzeitlich ins Stocken geraten sein.
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Einigungsvorschlag
Einigen sich die Parteien, s. unter 6.
Einigen sie sich aber nicht, unterbreitet die Schlichtungsperson einen Schlichtungsvorschlag, der schriftlich zu begründen und beiden Parteien zuzustellen ist. „Wird der Vorschlag nicht binnen zwei Wochen nach der jeweiligen Zustellung an eine Partei von dieser und im Ergebnis fristgerecht von beiden Parteien angenommen, gilt er als abgelehnt. Sind mehr als zwei Parteien an dem Schlichtungsverfahren beteiligt und wird von einer Partei der Vorschlag nicht fristgerecht angenommen, so gilt die Schlichtung als mit dieser Partei gescheitert. Die Schlichtungsperson kann die Annahmefrist abkürzen“ (§ 12 Abs. 2).
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Einigung
Einigen sich die Parteien, sind ihre Vereinbarungen zu protokollieren; das Protokoll soll von der Schlichtungsperson und den Parteien unterzeichnet werden (§ 12 Abs. 1). Einigen sie sich nur über einzelne der streitigen Punkte, unterbreitet die Schlichtungsperson hinsichtlich der übrigen einen Schlichtungsvorschlag, s. o.
„Beide Parteien haben es selbst in der Hand, gemeinsam zu einer Lösung ihres Konflikts zu gelangen und das deutlich schneller und kostengünstiger als im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens.“ Dr. Christian Behrens, Rechtsanwalt |
Prinzipien der Schlichtung
Die das Schlichtungsverfahren prägenden Prinzipien helfen nicht nur der Schlichtungsperson, die Gespräche zu planen, vorzubereiten und umzusetzen, sondern auch den beteiligten Parteien:
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Freiwilligkeit
Ähnlich der Mediation ist die Teilnahme an einer Schlichtung freiwillig: Selbst, wenn sich die Parteien vertraglich zur Durchführung eines Schlichtungsverfahrens verpflichtet haben sollten, bleibt es ihnen letztlich unbenommen, sich jederzeit aus den Gesprächen zurückzuziehen oder gar nicht erst zu der Schlichtungsverhandlung zu erscheinen. Die Schlichtung gilt dann als gescheitert (§ 12 Abs. 3).
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Eigenverantwortung
Ähnlich der Interessenklärung als „Herzstück“ der Schlichtung (s. o.) verhält es sich mit der Eigenverantwortung der Parteien, deren Bedeutung gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann: Beide Parteien haben es buchstäblich in der Hand, miteinander eine Lösung zu erarbeiten. Dabei steht und fällt das gesamte Verfahren mit ihrer Bereitschaft, sich überhaupt auf Gespräche mit der anderen Partei einzulassen und auf dieser Grundlage aktiv an einer Lösung mitzuarbeiten.
Aufgabe der Schlichtungsperson ist es, beide dabei zu unterstützen: Hierfür muss sie die Gespräche moderieren, Fragen stellen, wesentliche Aspekte zusammentragen, letztlich alles strukturieren und sich – erscheint es im Einzelfall hilfreich – mit eigener Expertise und Vorschlägen einbringen.
Die Entscheidungshoheit verbleibt dabei stets und ausschließlich bei den Parteien, nur sie können und müssen Entscheidungen treffen. Die Schlichtungsperson kann den Parteien aber dabei helfen, einen Überblick über verschiedene Optionen und deren Konsequenzen zu gewinnen.
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Transparenz
Soll eine Schlichtung erfolgreich abgeschlossen werden können, müssen beide Parteien über alle relevanten Informationen verfügen, um auf dieser Grundlage gemeinsam eine Lösung erarbeiten zu können. Hierbei haben es aber beide Parteien ebenfalls in der Hand, welche Informationen sie auf welchem Wege teilen bzw. welche sie in das Verfahren einbringen und welche auch nicht.
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Vertraulichkeit und Verschwiegenheit
Das führt zwanglos zu der Frage nach der Vertraulichkeit (s. § 4) und der Verschwiegenheit der Beteiligten nicht nur im Hinblick auf mitgeteilte Informationen, sondern insgesamt. Einerseits soll die Schlichtung einen vertraulichen Gesprächsrahmen bieten, in dem beide Parteien offen miteinander sprechen können. Andererseits kann die Sorge einer Partei vor einem Bruch der Vertraulichkeit eine offene Aussprache behindern.
Helfen können hier zunächst nur mit der Schlichtungsperson geführte Einzelgespräche, sollte sich eine Partei bei bestimmten Punkten unsicher sein. Soweit sich die Parteien nicht für die Schlichtung nach einer Schlichtungsordnung entschieden haben, welche ohnehin die Vertraulichkeit regelt (etwa § 4 Abs. 2), ist ferner an Vertraulichkeitsabreden bereits in der Schlichtungsvereinbarung zu denken. In dem Zusammenhang verpflichten sich beide Parteien darüber hinaus regelmäßig dazu, die Schlichtungsperson nicht in einem späteren Gerichtsverfahren als Zeugen zu benennen, sollte die Schlichtung erfolglos enden.
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Neutralität und Allparteilichkeit der Schlichtungsperson
Anders als z. B. in einer Mediation unterstützen Schlichterin oder Schlichter beide Parteien gleichermaßen dabei, ihre Interessen erst einmal zu ermitteln, sie zu vertreten und eine für beide Seiten passende oder zumindest vertretbare Lösung zu erarbeiten.
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Prozessverantwortung der Schlichtungsperson
So sehr einerseits beide Parteien selbst dafür verantwortlich sind, die für sie wichtigen Themen zu benennen und die Kontrolle über ihre Entscheidungen zu behalten, so sehr bleibt andererseits die Schlichtungsperson für den Prozess verantwortlich: Alle Gespräche werden moderiert und soweit nötig auch nur hilfreich strukturiert. Dabei haben die Parteien stets die Gelegenheit, die ihnen wichtigen Argumente vorzutragen. Zumal die Schlichtungsperson die jeweiligen Sichtweisen der Parteien verstehen können muss, soll sie das Verfahren fördern oder sogar einen sachgerechten Schlichtungsvorschlag unterbreiten können.
Vorteile einer Schlichtung
Nach alledem sollten die Vorteile einer Schlichtung auf der Hand liegen: Das Verfahren ist freiwillig und jede Partei kann sich jederzeit auch wieder daraus zurückziehen und es entweder mit einem weiteren alternativen Verfahren versuchen, etwa ein Schiedsgericht anrufen – oder doch Klage vor einem staatlichen Gericht erheben.
Lassen sich beide Parteien aber auf den Versuch einer Schlichtung ein, können Sie nur gewinnen: Beide haben es selbst in der Hand, gemeinsam zu einer Lösung ihres Konflikts zu gelangen und das deutlich schneller und kostengünstiger als im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens. Zudem sie es bei Gericht weitgehend (von der obligatorischen Güteverhandlung abgesehen) aus der Hand geben bzw. sich in die Hand des Gerichts begeben. Das trifft zwar eine in rechtlicher Hinsicht zumindest vertretbare Entscheidung, aber mit Pech sind beide Parteien am Verfahrensende nicht vollumfänglich zufrieden.
Ein weiterer Vorteil ist die Niedrigschwelligkeit der Schlichtung: So ist in eilbedürftigen Fällen sogar eine Ad-Hoc-Schlichtung spontan auf der Baustelle möglich, die Vertragspartner haben insofern (fast) alle Freiheiten, das ist schlicht Verhandlungssache.
Nicht vernachlässigt werden darf die Beziehungsebene, vor allem im Hinblick auf die Kommunikation der Parteien: Diese (eher emotional geprägte) Ebene spielt vor den staatlichen Gerichten praktisch keine Rolle. Ein Gericht hat sich für die Befindlichkeiten beider Parteien grundsätzlich nicht zu interessieren, sondern lediglich in rechtlicher Hinsicht zu prüfen, ob sich die von der klagenden Partei begehrte Rechtsfolge tatsächlich aus den streitentscheidenden vertraglichen oder gesetzlichen Normen ergibt – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Nicht selten sind es aber nicht zuletzt emotionale Aspekte, die letztlich zu Konflikten führen: Sei es der sich in seiner Handwerkerehre verletzt fühlende Auftragnehmer oder ein bauleitender Architekt, der sich nur noch von allen Seiten gemobbt und missverstanden sieht usw. Auf derartige Aspekte können und sollen ggf. die Parteien im Rahmen der Schlichtung genauso eingehen wie auf rein sachliche Aspekte.
Schließlich können sich die Parteien wiederum entgegen verbreiteten Vorurteilen im Erfolgsfall durchaus einen vollstreckbaren Titel verschaffen, also letztlich die Zwangsvollstreckung aus der Schlichtungsvereinbarung (ihrem Vergleich i. S. v. § 13 SOBau) betreiben, sollte die andere Partei ihre Pflichten aus dem Vergleich nicht hinreichend erfüllen. Hierfür können beide anwaltlich vertretenen Parteien einen Anwaltsvergleich unter den Voraussetzungen des § 796a Abs. 1 ZPO für vollstreckbar erklären lassen. Nicht anwaltlich vertretenen Parteien schließlich bleibt es unbenommen, ihren Vergleich notariell (und dabei mit vollstreckungsfähigem Inhalt) beurkunden zu lassen.
Nachteile einer Schlichtung
Nachteile des Schlichtungsverfahrens sind nicht ersichtlich: Wie dargestellt, können die Parteien im Falle des Scheiterns der Schlichtung zwar durchaus etwas Zeit und Geld verlieren, ansonsten aber nur gewinnen, sollte es ihnen gelingen, sich zu vergleichen.
Gut zu wissen – Tipps aus der Praxis
Bereits bei der Gestaltung ihrer Bauverträge sollten die Parteien eine Klausel über die Durchführung eines ADR-Verfahrens in den Bauvertrag aufnehmen. Dabei sind durchaus flexible Regelungen möglich, die es u. a. zulassen können, von einem der z. B. in der SOBau geregelten Verfahren zu einem anderen zu wechseln. So kann sich für den Fall des Scheiterns einer Schlichtung noch ein Schiedsverfahren anschließen oder die Parteien können umgekehrt aus der Schlichtung in eine Mediation wechseln und umgekehrt usw.
Vereinbaren sie im Einzelfall im Bauvertrag noch nicht die Durchführung z. B. eines Schlichtungsverfahrens, können die Parteien jederzeit noch immer eine Schlichtungsvereinbarung treffen und anschließend einen Schlichtervertrag (etwa nach der SOBau 2020) mit einer Schlichtungsperson schließen, auf die sie sich zuvor verständigen müssen. Sollte es nicht gelingen, sich auf eine Schlichterin oder einen Schlichter zu einigen, können die Parteien die Präsidentin des Deutschen Anwaltsvereins (DAV) anrufen, die dann eine Schlichterin oder einen Schlichter auf Vorschlag des Geschäftsführenden Ausschusses der ARGE Baurecht bestellt (§ 9 Abs. 2).
Solange die Parteien eines Bauvertrages im Konfliktfall noch miteinander sprechen können und wollen, dann sollten sie das z. B. im Rahmen einer Schlichtung nach dem Buch 2 der SOBau 2020 bitte auch machen. Der Gang zu einem staatlichen Gericht dagegen sollte „Ultima Ratio“, also wirklich letztes Mittel bleiben, wenn ansonsten buchstäblich gar nichts mehr geht. Selbst dann besteht aber noch immer die Möglichkeit, aus dem gerichtlichen Verfahren heraus in ein Schlichtungsverfahren zu wechseln und den im Erfolgsfalle geschlossenen Vergleich schließlich von dem Gericht protokollieren zu lassen – das Recht setzt der Fantasie der Parteien hierbei kaum Grenzen, sie müssen es nur beide wollen.