Kaum ein Thema beschäftigt die einzelnen Gewerke der Baubranche derzeit so sehr wie die Frage der Widerrufsrechte. Antworten rund um den Außergeschäftsraumvertrag und den Fernabsatzvertrag liefert Melanie Bentz, Fachanwältin für Bau- und Architektenrecht.
Bild: © f:data GmbH
Obwohl der Außergeschäftsraumvertrag (§ 312 b BGB) in seiner jetzigen Form bereits im Jahr 2014 Eingang ins Bürgerliche Gesetzbuch fand, führte er jahrelang ein Schattendasein. Unternehmern und Verbrauchern war die Existenz der Norm nicht bekannt oder sie gingen davon aus, dass die Regelung bei bauvertraglichen Sachverhalten nicht anzuwenden ist.
Dies hat sich im Laufe der letzten Jahre geändert und für manche Kunden ist es zum „Geschäftsmodell“ geworden, Leistungen in Anspruch zu nehmen und nach Abschluss der Leistungen den Vertrag zu widerrufen, um eine Rechnung nicht zahlen zu müssen oder, um eine Zahlung zurückzuverlangen.
Die Problematik mit § 312 b BGB liegt darin, dass der Unternehmer nur dann eine Vergütung für die bis zum Widerruf erbrachten Leistungen erhält, wenn er den Verbraucher-Kunden im Vorfeld ordnungsgemäß
- über das Bestehen des Widerrufsrechts belehrt hat und
- zusätzlich eine Belehrung erfolgte, dass für den Fall des Beginns der Arbeiten vor Ablauf der Widerrufsfrist die bis zum Widerruf erbrachten Leistungen zu vergüten sein werden.
Dies bedeutet in der Praxis, dass der Verbraucher-Kunde in den meisten Fällen nicht zahlen muss, weil er nicht zum Widerrufsrecht belehrt wurde. Damit wurde ihm auch nicht mitgeteilt, welche Konsequenzen es hat, den Beginn der Leistung vor Ablauf der Widerrufsfrist zu fordern.
Der Europäische Gerichtshof stellte in einem Urteil vom 17.05.2023 (C-97/22 – NJW 2023, 2171 ff) klar, dass der Verbraucher-Kunde keinerlei Zahlungen zu leisten hat, wenn er vor Abschluss des Vertrages nicht auf das bestehende Widerrufsrecht hingewiesen wird. Er darf die empfangenen Leistungen kostenneutral behalten und ist nicht verpflichtet, den erzielten Vermögenszuwachs auf andere Art und Weise auszugleichen.
Diese strikte europarechtliche Rechtsprechung, die der Formulierung des § 312 b BGB zugrunde liegt und die kein Abweichen von der EU-Richtlinie zulässt, bindet die deutschen Gerichte.
Belehrung essenziell wichtig
Dies ist zunächst für sämtliche Unternehmer zu berücksichtigen, die Verträge über einzelne (Bau-) Gewerke mit Verbraucher-Kunden abschließen. Es ist an dieser Stelle nochmals zu betonen, wie essenziell wichtig es ist, Verbraucher-Kunden über bestehende Widerrufsrechte ordnungsgemäß zu belehren.
Die Tendenz vieler Gerichte der unteren Instanzen, unbesehen immer dann, wenn ein Vertrag außerhalb des Geschäftsraums eines Unternehmers geschlossen wurde, ein Widerrufsrecht nach § 312 b BGB anzunehmen und dem Unternehmer Werklohnansprüche zu versagen bzw. Rückzahlungsansprüche des Verbraucher-Kunden zuzusprechen, hat die ober- und höchstrichterliche Rechtsprechung hier zu Klarstellungen veranlasst. Diese Klarstellungen sind dringend geboten, um den Verbraucherschutz zwar auf der einen Seite zu gewährleisten, jedoch auf der anderen Seite auf dasjenige Maß zurückzuführen, welches die zugrundeliegende EU-Richtlinie ursprünglich vorsah.
Was bedeutet „außerhalb von Geschäftsräumen“?
Bereits das Oberlandesgericht Naumburg verwies im Urteil vom 07.10.2021 (2 U 33/21 – BauR 2023, 489 ff) darauf, dass § 312 b Abs. 1 BGB die Begrifflichkeit „außerhalb von Geschäftsräumen geschlossener Vertrag“ in vier Fallgruppen definiert.
§ 312 b Abs. 1 BGB bestimmt, dass außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge sind, die
- die bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit des Verbrauchers und des Unternehmers an einem Ort geschlossen werden, der kein Geschäftsraum des Unternehmers ist,
- für die der Verbraucher unter den in Nummer 1 genannten Umständen ein Angebot abgegeben hat,
- die in den Geschäftsräumen des Unternehmers oder durch Fernkommunikationsmittel geschlossen werden, bei denen der Verbraucher jedoch unmittelbar zuvor außerhalb der Geschäftsräume des Unternehmers bei gleichzeitiger persönlicher Anwesenheit des Verbrauchers und des Unternehmers persönlich und individuell angesprochen wurde, oder
- die auf einem Ausflug geschlossen werden, der von dem Unternehmer oder mit seiner Hilfe organisiert wurde, um beim Verbraucher für den Verkauf von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen zu werben und mit ihm entsprechende Verträge abzuschließen.
Nach dem Oberlandesgericht Naumburg erfordert die erste der genannten Alternativen, dass sich beide Vertragspartner zeitgleich am selben Ort aufhalten, der kein Geschäftsraum des Unternehmers ist und sich somit in Sicht- und Hörweite voneinander befinden.
Das Oberlandesgericht Naumburg lehnte diese Voraussetzung ab, da der Unternehmer sein Angebot schriftlich in seinen eigenen Geschäftsräumen (ohne den Verbraucher-Kunden) erstellte und dem Architekten des Verbraucher-Kunden übermittelte.
Nach einer gemeinsamen Besprechung in den Geschäftsräumen des Architekten fertigte dieser einen Bauvertrag an und schickte ihn an den Unternehmer. Dieser unterschrieb den Vertrag in seinen Geschäftsräumlichkeiten und sendete ihn an den Architekten zurück. Im Büro des Architekten setzte dann der Verbraucher-Kunde seine Unterschrift unter den Bauvertrag.
Neben dem Umstand, dass es bereits an der gleichzeitigen körperlichen Anwesenheit beider Vertragsparteien gefehlt hatte, verwies das Oberlandesgericht Naumburg zusätzlich darauf, dass der Verbraucher-Kunde auch deswegen nicht schutzbedürftig war, weil er sowohl ausreichend Zeit als auch fachliche Beratung zur Verfügung hatte, um vor der Unterzeichnung des Vertrages über das Angebot des Unternehmers nachzudenken.
Die „gleichzeitig körperliche Anwesenheit“
Ebenfalls mit dem Merkmal der „gleichzeitigen körperlichen Anwesenheit“ setzte sich der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 06.07.2023 (VII ZR 151/22 – zitiert nach juris) auseinander.
Im dort entschiedenen Sachverhalt hatte ein Mitarbeiter des beauftragten Dachdeckers im Zuge der Ausführung der Arbeiten eine Beschädigung eines Wandanschlusses festgestellt und den Verbraucher-Kunden gefragt, ob diese Zusatzarbeiten in einem Zuge mit erledigt werden sollten. Nachdem der Unternehmer dem Verbraucher-Kunden auf der Baustelle mitgeteilt hatte, dass die Arbeiten zum Nachweis zuzüglich Materialkosten ausgeführt werden könnten, erteilte der Verbraucher-Kunde am folgenden Tage auf der Baustelle persönlich gegenüber dem Unternehmer den Auftrag.
Der Bundesgerichtshof sieht das Tatbestandsmerkmal der gleichzeitigen körperlichen Anwesenheit beider Parteien nicht als erfüllt an, wenn ein Angebot des Unternehmers vom Verbraucher-Kunden zu einem späteren Zeitpunkt angenommen wird. Denn in solchen Fällen habe der Verbraucher die Gelegenheit, vor Vertragsabschluss über die Schätzung des Unternehmers nachzudenken.
Diese rechtliche Wertung lässt sich auf den Fall erweitern, dass der Unternehmer dem Verbraucher-Kunden aufgrund eines Aufmaßes oder einer Schätzung ein Angebot unterbreitet, welches der Verbraucher-Kunde nach einer Überlegungszeit bei gleichzeitiger Anwesenheit mit dem Unternehmer außerhalb von Geschäftsräumen lediglich annimmt. Findet eine Vertragsverhandlung nicht sofort im Anschluss an das Angebot statt, sondern hat der Verbraucher-Kunde Gelegenheit, das Angebot des Unternehmers zu prüfen und zu überdenken, ist nach dem mit der Verbraucherrechte-Richtlinie verfolgten Schutzzweck des Tatbestandes bei gleichzeitiger Anwesenheit der Vertragsparteien außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrages nicht erfüllt. Eine typische Druck- oder Überraschungssituation, vor der § 312 b BGB schützen soll, liegt nicht vor.
Chance für Unternehmer, Widerrufserklärungen abzuwehren
Beide vorstehend genannten Urteile zeigen, dass die konkreten Abläufe des Vertragsschlusses mit einem Verbraucher-Kunden im Falle eines Streites über das Bestehen eines Widerrufsrechts gemäß § 312 b BGB im Einzelnen dargelegt und analysiert werden müssen. Nicht jede Willenserklärung, die rein faktisch außerhalb der Geschäftsräume des Unternehmers abgegeben wurde, berechtigt den Verbraucher-Kunden zu einem späteren Widerruf bei fehlender Widerrufsbelehrung.
Hierin liegt eine Chance für Unternehmer, Widerrufserklärungen von Verbraucher-Kunden abzuwehren. Für die Zukunft wird es also von besonderer Bedeutung sein, unter welchen konkreten Umständen und in welchem zeitlichen Zusammenhang Erklärungen außerhalb von Geschäftsräumen abgegeben werden.
Fazit
Der beste Schutz gegen unberechtigte Vertragswiderrufe ist eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung.
Fehlt es an der Widerrufsbelehrung, ist anhand der Definition des Außergeschäftsraumvertrags zu prüfen, ob tatsächlich ein Widerrufsrecht besteht. Hierzu müssen beide Parteien beim Vertragsabschluss gleichzeitig körperlich anwesend gewesen sein.
Ist dies nicht der Fall, bestehen gute Chancen für Unternehmer, unberechtigte Widerrufserklärungen und deren nachteilige Folgen abzuwehren.