09.11.2022 | Baurecht / BGB

Preisanstieg bei Baustoffen: Wer zahlt die Mehrkosten bei bestehenden Verträgen?

Preisexplosion bei Baustoffen
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Bauunternehmer und Bauherren stehen aktuell unter einem massiven Kostendruck. Die unvorhergesehenen, rasanten Preissteigerungen für Baustoffe waren nicht vorhersehbar. Daher haben Bauunternehmer in der Regel einen Anspruch auf Vertragsanpassung nach § 313 Abs. 1 BGB. Die Mehrkosten sind sodann angemessen zu verteilen. Aufgrund der Wertungen des Gesetzgebers und der öffentlichen Hand ist eine Anpassung angemessen, wenn der Auftraggeber mindestens 85 % und der Auftragnehmer nicht mehr als 15 % von den nachgewiesenen Mehrkosten tragen. Dies gilt für öffentliche Bauaufträge genauso wie für private Bauverträge.
Die Frage, wer bei bestehenden Verträgen die nachträglich eingetretenen Mehrkosten für Baustoffe zu tragen hat, stellt sich bei öffentlichen und privaten Bauverträgen gleichermaßen. Sofern in dem betreffenden Bauvertrag eine Preisgleitklausel vereinbart ist, ist die Verteilung der Mehrkosten zumindest im Anwendungsbereich dieser Klauseln geregelt.
Wenn jedoch keine Preisgleitklauseln vereinbart sind und auch außerhalb des Anwendungsbereichs wird man zu dem Ergebnis kommen, dass der Auftragnehmer und der Auftraggeber sich die erheblichen Mehrkosten wegen der massiven Preissteigerungen für Baustoffe teilen müssen. Bei bestehenden Verträgen stellt es eine angemessene Verteilung der nachgewiesenen Mehrkosten im Vergleich zu den ursprünglich kalkulierten Kosten dar, wenn diese mindestens mit 85 % zu Lasten des Auftraggebers und höchstens mit 15 % zu Lasten des Auftragnehmers vereinbart wird.
Es gibt keine geschriebene gesetzliche Regelung, die die Verteilung der rasant gestiegenen Mehrkosten festlegt. Gleichwohl gelangt man zu der vorgenannten Verteilungsquote 85 % zu 15 % aufgrund folgender Rahmenbedingungen:
Grundsätzlich gelten die bei Vertragsschluss vereinbarten Preise. Zwischen Vertragsschluss und Vertragsausführung können jedoch oftmals viele Monate vergehen, insbesondere wenn die Vertragsausführung selbst über einen mehrmonatigen Zeitraum erfolgt. Währenddessen kann sich der Einkaufspreis für die Baustoffe erheblich ändern. Dieses Preisänderungsrisiko trägt grundsätzlich allein der Auftragnehmer, soweit es für ihn im üblichen Rahmen kalkulierbar ist.
Infolge der Corona-Pandemie haben aber vielerorts die gesetzlichen Restriktionen zu Störungen in den Lieferketten geführt. Lieferengpässe und Materialpreissteigerungen waren die Folge. Seit Ende Februar 2022 wurde die Marktsituation durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und die damit einhergehende Kostenexplosion für Strom und Gas nochmals verschärft, indem auch die Kosten für die Produktion der Baustoffe massiv angestiegen sind. Manche Baustoffe aus Russland oder der Ukraine waren auch gar nicht mehr verfügbar.
Die inzwischen eingetretenen Materialpreissteigerungen konnte kein Bauunternehmer im Voraus seriös einkalkulieren, und auch die Preissteigerungen in den kommenden Monaten sind weiterhin schwer kalkulierbar, zumal sie nicht linear verlaufen.

Vertragsanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage, § 313 Abs. 1 BGB

Kündigung von Werk- und Bauverträgen
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Vor diesem Hintergrund hat das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen am 25.03.2022 einen Runderlass zum Umgang mit den Lieferengpässen und Preissteigerungen wichtiger Baumaterialien als Folge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine bekannt gemacht. Das Bundesministerium geht davon aus, dass die Ereignisse geeignet sind, von einer Störung der Geschäftsgrundlage im Sinne des § 313 Abs. 1 BGB auszugehen. Es geht weiterhin davon aus, dass Auftraggeber und Auftragnehmer den Vertrag in der Annahme geschlossen haben, dass sich die erforderlichen Materialien grundsätzlich beschaffen lassen und deren Preise nur den allgemeinen Unwägbarkeiten des Wirtschaftslebens unterliegen. Sie hätten den Vertrag nicht mit diesem Inhalt geschlossen, hätten sie gewusst, dass die kommenden Kriegsereignisse in der Ukraine derart unvorhersehbaren Einfluss auf die Preisentwicklung nehmen würden. Zusätzlich ist für das Recht der Vertragsanpassung erforderlich, dass unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag dem Auftragnehmer nicht zugemutet werden kann.
Bei welcher konkreten Preissteigerung ein Festhalten am Vertrag nicht mehr zumutbar ist, lässt sich nicht pauschal bestimmen. Denn es kommt auch darauf an, welchen Anteil die Preissteigerungen von der gesamten Vertragssumme ausmachen. Zur Bestimmung der Unzumutbarkeit kann man zudem in die Abwägung einbeziehen, ob die Materialpreissteigerungen den gesamten Gewinn des Auftragnehmers aus dem Auftrag aufzehren würden. Es ist daher auf eine Gesamtbetrachtung abzustellen.
Wenn demnach die Voraussetzungen für eine Vertragsanpassung vorliegen, kann der Auftragnehmer vom Auftraggeber eine angemessene Erhöhung der Vergütung verlangen, die dem Ausgleich der Mehrkosten Rechnung trägt.
Eine pauschale hälftige Teilung der Mehrkosten ist nicht sachgerecht, da die verbauten oder noch zu verbauenden Materialien allein dem Auftraggeber zugutekommen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass eine hälftige Teilung bei öffentlichen Aufträgen eine erhebliche Benachteiligung gegenüber neu vergebenen öffentlichen Bauaufträgen darstellen würde, bei denen inzwischen eine entsprechende Stoffpreisgleitklausel vereinbart werden soll.
Als Vertragsanpassung käme bei öffentlichen Bauaufträgen auch in Betracht, dass nachträglich eine Stoffpreisgleitklausel ohne Basiswerte vereinbart wird. Dies würde jedoch in der Regel zu einem erheblichen personellen, zeitlichen und kostenintensiven Mehraufwand aller Beteiligten führen, der oftmals unverhältnismäßig wäre, zumal die Mehrkosten bei bestehenden Verträgen bereits bekannt sind.

Verteilungsquoten für die Mehrkosten

Als weiteren Anhaltspunkt für eine angemessene Vertragsanpassung kann man auf die neuen Stoffpreisgleitklauseln des Bundes abstellen. Bei denen wird in der Regel ein Selbstbehalt des Auftragnehmers in Höhe von 10 % vereinbart, sodass der öffentliche Auftraggeber 90 % der Mehrkosten zu tragen hat.
Ferner kann man zum Vergleich die gesetzlichen Regelungen bezüglich der Mehrkosten bei Nachträgen heranziehen. So enthält das BGB in § 650c Abs. 3 S. 1 BGB eine pauschale Regelung für Abschlagsrechnungen bezüglich der Mehrvergütung bei Nachträgen, falls sich Auftraggeber und Auftragnehmer noch nicht über den Preis geeinigt haben sollten. Demnach kann der Auftragnehmer 80 % der Mehrvergütung verlangen. Nach § 650c Abs. 1 BGB ist die Höhe des Vergütungsanspruchs für den infolge einer Anordnung des Bestellers nach § 650b Absatz 2 vermehrten oder verminderten Aufwand sogar nach den tatsächlich erforderlichen Kosten mit angemessenen Zuschlägen für allgemeine Geschäftskosten, Wagnis und Gewinn zu ermitteln. Der Auftraggeber hat also für Nachträge 100 % der tatsächlichen Mehrkosten nebst Zuschlägen für allgemeine Geschäftskosten, Wagnis und Gewinn zu tragen.
Vor dem Hintergrund dieser gesetzlichen Regelungen ist die Anpassung der Vergütung für bestehende Verträge infolge der durch die Preissteigerungen für Baustoffe verursachten Mehrkosten für den Auftragnehmer in vergleichbarem Maße vorzunehmen.
Daraus folgt, dass eine Anpassung angemessen ist, wenn der Auftraggeber mindestens 85 % und der Auftragnehmer nicht mehr als 15 % von den nachgewiesenen Mehrkosten tragen. Dies gilt für öffentliche Bauaufträge genauso wie für private Bauverträge.
Jan-Erik Fischer
Ein Artikel von
  • Experte für Bau- und Immobilienrecht, Bankrecht und Vergaberecht
  • Tengstraße 27, 80798 München
  • Telefon: 089 23022303
  • Web: www.fragfischer.de
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