13.01.2022 | News

Abschlagszahlungen auf die Nachtragsvergütung und der einstweilige Rechtsschutz

Abschlagszahlungen auf die Nachtragsvergütung und der einstweilige Rechtsschutz
Bild: © f:data GmbH
Das Kammergericht Berlin hat in zwei aktuellen Entscheidungen dem Unternehmer eine einstweilige Zahlungsverfügung für die Abschlagsrechnung gewährt. Ausdrücklich weist das Gericht darauf hin, dass die Dringlichkeitsvermutung auch nicht dadurch widerlegt ist, dass die Schlussrechnungsreife eingetreten ist. Vielmehr bleibt das Interesse des Unternehmers an einem Ausgleich für das unvorhersehbare Vorleistungsrisiko bei Nachträgen so lange bestehen, bis die Abschlagsrechnung bezahlt wurde.
Bei Nachträgen stellt sich dem Unternehmer das Problem, dass er möglicherweise in erheblichem Ausmaß in Vorleistung treten muss, ohne dass dies für ihn bei der Annahme des ursprünglichen Hauptauftrags überhaupt erkennbar war. Er hat also ein gesteigertes Interesse daran, seine Liquidität durch Abschlagszahlungen aufrecht zu erhalten. Das Kammergericht Berlin hat in zwei aktuellen Entscheidungen jeweils eine einstweilige Zahlungsverfügung gegen den Besteller erlassen (Urteil vom 02.03.2021, Az. 21 U 1098/20 und Urteil vom 07.09.2021, Az. 21 U 86/21).
Dieser Beitrag knüpft an den früheren Beitrag „Besonderheiten der Nachtragsvergütung gemäß BGB“ an. Unabhängig von der bestehenden Abrechnungsproblematik, stellt sich darüber hinaus die Frage, wie man eine Abschlagszahlung zeitnah erhält. Ein Druckmittel kann die Einstellung der Arbeiten sein, solange der Besteller sich im Zahlungsverzug befindet. Wenn der Besteller jedoch weiterhin konsequent die Bezahlung der Abschlagsrechnung verweigert, und eine Kündigung nicht angestrebt wird, kann der Unternehmer seinen Anspruch auf die Abschlagszahlung mittels einer einstweiligen Zahlungsverfügung gerichtlich geltend machen, §§ 935, 916 ZPO, 650d BGB.
Damit eine einstweilige Verfügung erlassen werden kann, muss der Unternehmer als Antragsteller sowohl einen Verfügungsgrund (die Dringlichkeit), als auch einen Verfügungsanspruch (materieller Anspruch auf die Abschlagszahlung) glaubhaft machen. § 650d BGB führt zu einer Erleichterung durch die gesetzliche Vermutung des Verfügungsgrunds. Dort heißt es wörtlich: „Zum Erlass einer einstweiligen Verfügung in Streitigkeiten über das Anordnungsrecht gemäß § 650b BGB oder die Vergütungsanpassung gemäß § 650c BGB ist es nach Beginn der Bauausführung nicht erforderlich, dass der Verfügungsgrund glaubhaft gemacht wird.“ Die Glaubhaftmachung ist in § 294 ZPO geregelt. Die herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur nimmt für das Beweismaß an, dass abweichend von dem Regelbeweismaß der vollen Überzeugung des Gerichts von der Wahrheit einer Tatsache aufgrund des vorläufigen Charakters der einstweiligen Verfügung eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der behaupteten Tatsache ausreicht.
Das Kammergericht Berlin hat in den zuvor genannten Urteilen auch klargestellt, dass selbst eine Schlussrechnungsreife (KG, Urteil vom 2. März 2021, Az. 21 U 1098/20; KG, Urteil vom 07.09.2021, Az. 21 U 86/21 (Rn. 26); zustimmend von Kiedrowski, NJW 2021, S. 1709 und Oppler, NZBau 2021, S. 514) keinen Einfluss auf die Dringlichkeit und das weiterhin bestehende Interesse des Auftragnehmers an der Sicherung der Liquidität hat, weil auch eine eingegangene Vorleistung des Unternehmers (Material, Arbeitszeit und Löhne) nicht durch eine etwaige Schlussrechnungsreife entfällt. Das Risiko der Vorleistung dauert so lange an, bis der Auftragnehmer die Schlusszahlung erhält. Der Gesetzgeber will damit dem Unternehmer einen Ausgleich dafür geben, dass er ein zusätzliches Vorleistungsrisiko übernehmen musste, welches für ihn beim ursprünglichen Hauptauftrag nicht kalkulierbar war. Überdies ist zu berücksichtigen, dass eine zunächst eingeklagte Schlussrechnung bei fehlender Abnahme hilfsweise auf die letzte Abschlagsrechnung gestützt werden kann (vgl. BGH, NJW 2000, 2818; Leinemann, VOB/B Kommentar, 7. Auflage 2019, § 12 VOB/B, Rn. 11). Auch daraus folgt, dass eine behauptete Schlussrechnungsreife nicht den Verfügungsgrund einer einstweiligen Verfügung entfallen lassen kann, da im einstweiligen Rechtsschutz keine endgültige Entscheidung über die Voraussetzungen der Schlussrechnungsreife (Beendigung des Werkvertrags durch Kündigung und Abnahme) getroffen werden kann.
Die Herausforderung, den Anspruch auf die Abschlagsforderung glaubhaft zu machen, ist dennoch genauso groß wie für den Beweis des Anspruchs bei einer Klage auf Zahlung der Schlussrechnung. Haben sich allerdings der Besteller und der Unternehmer trotz der Anordnung einer geänderten oder zusätzlichen Leistung nicht auf die Höhe der Vergütung einigen können, kann der Unternehmer gemäß § 650c Abs. 3 BGB pauschal 80 Prozent einer in einem Angebot nach § 650b Abs. 1 S. 2 BGB genannten Mehrvergütung ansetzen. Problematisch wird es jedoch, wenn der Besteller Mängel einwendet. Denn der Unternehmer kann nur in Höhe des Wertes der von ihm erbrachten und nach dem Vertrag geschuldeten Leistungen die Abschlagsforderung verlangen. Er muss also darlegen und glaubhaft machen, dass die mit der Abschlagsrechnung abgerechneten Leistungen vertragsgemäß sind. Hierzu kann er sich einer Aufstellung bedienen, die eine rasche und sichere Beurteilung der Leistungen ermöglicht. Die Anforderungen sind insoweit geringer als bei einer Schlussrechnung.
Das Kammergericht Berlin hat zudem entschieden, dass § 650d BGB auch für den VOB/B-Vertrag gilt, sofern der Vertrag nach dem 31.12.2017 geschlossen wurde. Denn seitdem sind die §§ 1 Abs. 3, 4 und 2 Abs. 5 bis 7 VOB/B nur vertragliche Ausgestaltungen der gesetzlichen Regelungen zur Leistungsänderung und Vergütungsanpassung gemäß §§ 650b, 650c BGB.
Insgesamt ist die Geltendmachung der Abschlagszahlung für den Unternehmer mit einigen rechtlichen und tatsächlichen Hürden verbunden. Wenn jedoch erst einmal ein Streit ausgebrochen ist, stellt die einstweilige Verfügung ein sinnvolles Mittel dar, mit Hilfe des Gerichts frühzeitig eine Einigung über die weitere Vorgehensweise zu erzielen und dadurch eine weitere Eskalation und ein Hauptsacheverfahren möglichst zu vermeiden.
Jan-Erik Fischer
Ein Artikel von
  • Experte für Bau- und Immobilienrecht, Bankrecht und Vergaberecht
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