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Früher war alles ganz einfach. Beim VOB/B-Vertrag galt die Regel „guter Preis bleibt guter Preis, schlechter Preis bleibt schlechter Preis“. Alle Abweichungen vom Ursprungsleistungsverzeichnis wurden im Wesentlichen auf Basis der Urkalkulation abgerechnet. Der vorkalkulatorische Preis wurde fortgeschrieben. Die von der VOB/B gewählte Formulierung ist, dass ein neuer Preis „unter Berücksichtigung der Mehr- oder Minderkosten“ ermittelt wird.
Seit dem es die VOB/B überhaupt gibt, heißt das im Grunde genommen: bei einer Mengenmehrung um mehr als 10% ebenso wie bei einer geänderten oder zusätzlichen Leistung, muss der Unternehmer zunächst einmal seine Kalkulation für die ursprüngliche Leistung offenlegen. Diese Kalkulation wurde dann entsprechend fortgeschrieben. Auf diese Weise sollte der Unternehmer exakt die gleiche Gewinnmarge erhalten, die er auch ursprünglich kalkuliert hat. Der gute Preis sollte eben gut bleiben, der schlechte Preis aber auch schlecht. Und wenn insoweit zwischen den Parteien des Bauvertrages keine Einigung zustande kam, dann musste man eben vor Gericht gehen. Der Richter holte in der Regel ein Gutachten ein. Der Gutachter kam zu einem gewissen Ergebnis, dieses Ergebnis fand Einfluss in das Urteil des Gerichtes, das Urteil kam dann eben zu einem gewissen Ergebnis und ersetzte auf diese Art und Weise quasi die fehlende Einigung der Parteien über den Preis.
Soweit, so gut.
Doch dann kam der Bundesgerichtshof. Am 08.08.2019 wurde zum Aktenzeichen VII ZR 34/18 ein Urteil veröffentlicht, welches überschrieben wurde mit „Paukenschlag aus Karlsruhe - BGH kassiert vorkalkulatorische Preisfortschreibungen!“.
Das Kammergericht Berlin ist direkt auf diesen Zug aufgesprungen und hat am 27.08.2019 zum Aktenzeichen 21 U 160/18 die Entscheidung des Bundesgerichtshofs, die sich ausschließlich auf Mengenmehrungen bezog, auch für geänderte und zusätzliche Leistungen für anwendbar erklärt.
Wenn man dem folgt, dann bleibt ggf. von der vorkalkulatorischen Preisfortschreibung in der Tat kaum noch etwas übrig.
Nachdem nunmehr aber etwas Zeit verstrichen ist, scheinen die eingetretenen Panikattacken rund um das Urteil mittlerweile etwas abgeflaut zu sein. Dies sollte Anlass sein, sich dem Urteil mit einer gewissen Distanz und damit vielleicht auch mit einer höheren Sachlichkeit zu widmen.
Wenn man sich das Urteil in Ruhe anschaut, dann hat der Bundesgerichtshof im Wesentlichen folgende Argumentationslinie – insoweit zugegebener Maßen erstmalig, also neu seit bestehende VOB/B – aufgestellt: bei einer Mehrmenge bis 10% des ursprünglichen Auftragsvolumens bleibt der Einheitspreis ohnehin, nach dem eindeutigen Wortlaut der VOB/B, unverändert. Für die über 10 von 100 hinausgehende Mehrmenge enthält die VOB/B im § 2 Abs. 3 Nr. 2 folgende Regelung: „Für die über 10 von 100 hinausgehende Überschreitung des Mengenansatzes ist auf Verlangen ein neuer Preis mit Berücksichtigung der Mehr- oder Minderkosten zu vereinbaren“.
Bezug genommen wird also ersichtlich – wie oben bereits dargelegt – auf die Mehr- oder Minderkosten und damit die Urkalkulation. Dies ist eigentlich einer der Klassiker der vorkalkulatorischen Preisfortschreibung. Der Bundesgerichtshof sagt aber auf keinen Fall, dass ein solches Vorgehen nicht sinnvoll oder sachgerecht ist. Was er aber sagt, ist, dass die Formulierung in dem oben zitierten Satz ausdrücklich ist, dass ein neuer Preis auf einer bestimmten Basis „zu vereinbaren ist“. Wenn die Parteien sich auf dieser Basis einigen, ist also alles gut. Aber was passiert, wenn eine solche Einigung tatsächlich nicht zustande kommt? Hier sagt der Bundesgerichtshof, dass die VOB/B für den Fall der fehlenden Einigung überhaupt keine Regelung enthält. Das lässt sich rechtsdogmatisch und vom Sprachlaut der Regelung her natürlich durchaus hören. Rechtlich ist es dann aber auch so, dass immer dann, wenn für irgendeinen Fall die VOB/B keine Regelung enthält, insoweit weiterhin die Regelungen des BGB gelten. Heißt: Wenn eine Vereinbarung zwischen den Parteien scheitert, dann hat die VOB/B dafür keine Lösung. Dann müssen wir ins BGB schauen. Und im BGB heißt es dann sowohl in § 632 Abs. 2: „Ist die Höhe der Vergütung nicht bestimmt, so ist beim Bestehen einer Taxe die taxmäßige Vergütung, in Ermangelung einer Taxe die übliche Vergütung als vereinbart anzusehen.“ Und im § 650 c) Abs. 1 BGB heißt es: „… ist nach den tatsächlich erforderlichen Kosten mit angemessenen Zuschlägen für allgemeine Geschäftskosten, Wagnis und Gewinn zu ermitteln“.
Das heißt übersetzt, dass immer dann, wenn eine Einigung zwischen den Parteien auf Basis der Urkalkulation tatsächlich scheitert, nach Bundesgerichtshof für die über 10 von 100 hinausgehende Mehrmenge auf die ortsübliche Vergütung und/oder die tatsächlichen Kosten mit angemessenen Zuschlägen abgestellt werden kann. Wenn der Unternehmer also tatsächlich schlechter kalkuliert haben sollte, als es die übliche Vergütung ist, dann kann er ab dem 111. % der Mehrmenge eine für ihn optimierte Vergütung begehren. Aber ist das wirklich das endgültige Ende der preiskalkulatorischen Preisfortschreibung für Mengenmehrungen? Eigentlich gibt es dafür kaum einen Grund, denn es sollte insoweit sicher Einigkeit bestehen, dass das Abstellen auf die Urkalkulation im Wesentlichen doch eine sehr gerechte Lösung für beide Vertragsparteien darstellt. Und genau hier öffnet der Bundesgerichtshof dann auch quasi die Hintertür für das weitere Vorgehen. Denn in dem zitierten Urteil heißt es im Leitsatz Nummer 4 ausdrücklich wie folgt: „Die im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung vorzunehmende Abwägung der beiderseitigen Interessen der Parteien nach Treu und Glauben ergibt, dass – wenn nichts anderes vereinbart ist – für die Bemessung des neuen Einheitspreises bei Mengenmehrungen im Sinne vom § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B die tatsächlich erforderlichen Kosten zusätzlich angemessener Zuschläge maßgeblich sind“. Wer diesen Satz genau liest, dem wird die Hintertür zwischen den beiden Gedankenstrichen sicherlich aufgefallen sein, denn dieser lautet „wenn nichts anderes vereinbart ist“.
Von daher zeigt der Bundesgerichtshof in seinem Urteil doch eigentlich direkt die für die Parteien tragfähige Lösung auf: Die Parteien können vereinbaren, dass auch bei Scheitern einer Einigung über den neuen Preis stets die nachgewiesenen Mehr- oder Minderkosten maßgeblich sein sollen. Dass eine solche Vereinbarung möglich ist, daran sollten im Hinblick auf die oben zitierte Formulierung keine Zweifel bestehen. Ein kleineres Restrisiko gibt es natürlich noch bei der Frage, ob denn dann noch die VOB/B „als Ganzes“ vereinbart ist, oder man mit dieser Formulierung die AGB-rechtliche Privilegierung der VOB/B gefährdet. Da der Bundesgerichtshof die Vereinbarungsmöglichkeit im Klammerzusatz aber derart deutlich herausstellt, spricht viel dafür, dass dies keine von der VOB/B abweichende Vereinbarung, sondern lediglich eine sie ergänzende Vereinbarung ist. Aber wie gesagt: ein Restrisiko verbleibt hier natürlich.
Wenn man dann die Entscheidung des Kammergerichtes hinzunimmt, wonach diese Rechtsprechung auch für geänderte und zusätzliche Leistungen gilt, so würde ja im 1. Step nichts dagegen sprechen, auch hier eine entsprechende ergänzende Vereinbarung in den Vertrag aufzunehmen, auf welcher Basis die Abrechnung stattzufinden hat, wenn eine Vereinbarung scheitert. Unabhängig davon stellt sich die Frage, ob dem Kammergericht hier so ohne Weiteres gefolgt werden kann. Weil der Wortlaut der VOB/B bei den geänderten Leistungen im § 2 Abs. 5 VOB/B wörtlich ist: „… so ist ein neuer Preis unter Berücksichtigung der Mehr- oder Minderkosten zu vereinbaren“. Auch hier wird also auf die Vereinbarung abgestellt. Eine Lösung, die gilt, wenn keine Vereinbarung getroffen wird, enthält die VOB/B nicht. Von daher würde auch hier das BGB gelten. Insoweit spricht der Wortlaut der Regelung eindeutig für die Auffassung des Kammergerichtes!
Aber ist dies bei einer zusätzlichen Leistung auch der Fall? § 2 Abs. 6 Nr. 2 VOB/B lautet: „Die Vergütung bestimmt sich nach den Grundlagen der Preisermittlung für die vertragliche Leistung und den besonderen Kosten der geforderten Leistung. Sie ist möglichst vor Beginn der Ausführung zu vereinbaren“. Hier ist die Vergütung also nur „möglichst“ zu vereinbaren. In jedem Fall aber bestimmt sie sich nach den Grundlagen der Preisermittlung für die vertragliche Leistung und den besonderen Kosten der geforderten Leistung. Während § 2 Abs. 5 VOB/B für die geänderte Leistung also sagt, dass auf einer bestimmten Basis „zu vereinbaren“ ist, enthält nach diesseitigem Dafürhalten der § 2 Absatz 6 VOB/B für die zusätzliche Leistung eine eindeutige Regelung, wie verfahren werden muss. Und zwar nach dem Wortlaut unabhängig davon, ob eine Vereinbarung erfolgreich ist oder nicht. Von daher bestehen erhebliche Zweifel, ob mit dem Kammergericht wirklich die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch auf zusätzliche Leistungen ausgedehnt werden kann.
Letztlich sollte man hier aber ohnehin keine Risiken eingehen. Es spricht alles dafür, in der vertraglichen Regelung entsprechende eindeutige Vereinbarungen zu treffen, wie es der BGH selbst anstößt.