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„Aber wir können das doch beweisen.“ Das reicht leider nicht. Vor Gericht reicht es nicht aus, die Wahrheit auf seiner Seite zu haben, man muss den entsprechenden Vortrag zudem auch rechtzeitig vorbringen. Mit der Wahrheit dringt man unter Umständen vor deutschen Gerichten nicht mehr durch, wenn die Beweismittel zu spät vorgelegt werden und der Gegner diese bestreitet und erfolgreich die Verspätung rügt, § 296 Zivilprozessordnung (ZPO).
Dies ist gerade für die vom Verfasser vertretenen ehrlichen Handwerker – Dachdecker, Maurer, Elektroniker, Bauzeichner, Betonbauer, Estrichleger, Fliesenleger, Maler, Tischler und viele mehr - oft nicht nachzuvollziehen. Dass deutsche Gerichte sehenden Auges einen objektiv unrichtigen Sachverhalt Ihrer Entscheidung zugrunde legen können, widerspricht dem Gerechtigkeitsgefühl und dem Idealbild der Justitia und ist in der Tat erklärungsbedürftig. Immerhin gibt es doch das grundrechtsgleiche Recht auf rechtliches Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG.
Hintergrund ist die Prozessförderungspflicht. Danach haben beide Parteien die Pflicht, konstruktiv daran mitzuwirken, dass der laufende Rechtsstreit möglichst zügig erledigt werden kann. Die Prozessförderungspflicht trägt zur Effizienz der zivilen Gerichtsbarkeit in Deutschland bei. Sanktioniert wird insbesondere ein Taktieren durch Zurückhalten wichtiger Unterlagen oder aus reiner Bequemlichkeit. Der wahre Sachverhalt ist in der Regel differenziert, die Wahrheit nie eine Frage von Schwarz oder Weiß, sondern von unendlich vielen Zwischentönen. So mag es vorkommen, dass eine Partei ein Dokument, welches ihre Behauptungen nicht eins zu eins stützt oder sogar weitere Fragen aufwirft, bewusst zurückhält, um möglichst schnell und geschickt zum Ziel eines rechtskräftigen Urteils zu Lasten der Gegenseite zu gelangen. Oder man macht sich die Mühe nicht, einmal den gesamten im Verlaufe des Bauvorhabens gewechselten Schriftverkehr kritisch durchzusehen. Ein solches Taktieren oder eine solche Bequemlichkeit kann als grobe Nachlässigkeit zu beurteilen sein, so dass man im Nachhinein mit diesen Dokumenten nicht mehr durchdringt, insbesondere wenn eine Frist zum entsprechenden Vortrag gesetzt war und fruchtlos abgelaufen ist. Der Verfasser bietet seinen Mandanten regelmäßig eine frühzeitige Gesamtschau aller Unterlagen vor Ort zum überschaubaren Festpreis an, um zum einen die Gefahr verspäteten Vorbringens auszuschließen und zum anderen aber auch die Wirtschaftlichkeit des Rechtsstreits möglichst zu gewährleisten.
Sofern das Gericht eine Verspätungsrüge der Gegenseite für erheblich hält, bleibt unter Umständen noch die sogenannte Flucht in die Säumnis. Um also zu verhindern, dass ein Urteil zum Nachteil des Verspäteten gefällt wird, kann man sich versäumen lassen, indem man keine Anträge stellt, und sodann Einspruch gegen das dann ergehende Versäumnisurteil erheben und diesen Einspruch dann wiederum ausführlich begründen, wobei auch hier wieder die Fristen zu wahren sind und die Verspätungsfalle droht.
Der Bundesgerichtshof hat kürzlich mit dem Urteil vom 16.10.2018 – VIII ZR 212/17 einen weiteren wichtigen Beitrag zur Frage der Verspätung vor Gericht geleistet. Nach § 531 ZPO sind neue Verteidigungs- und Angriffsmittel nur zuzulassen, wenn deren Nichtgeltendmachung im ersten Rechtszug nicht auf einer Nachlässigkeit der Partei beruhte. Nicht verspätet sind nach diesem Urteil aber auch die Ausübung eines Gestaltungsrechts wie etwa des Widerrufs und der entsprechende Vortrag hierzu, selbst wenn dies erst in der Berufungsinstanz erfolgt, siehe näher hierzu Benedikt Windau, BGH: Keine Verspätung von Gestaltungsrechten.
Nach Auffassung des Verfassers ist in umfangreichen Baustreitigkeiten von einer Verspätung bis zum Ende der Güteverhandlung regelmäßig nicht auszugehen bzw. die Erhebung einer entsprechenden Rüge sogar unkollegial. Da jedoch der Übergang von der Güteverhandlung in die streitige Verhandlung auch bei solchen Baustreitigkeiten nahtlos sein kann, ist in jedem Falle die bestmögliche Prozessvorbereitung geboten.