03.09.2016 | Baurecht / BGB

Führt ein Verstoß gegen DIN-Normen oder Regeln der Technik ohne weiteres zu einem Baumangel?

Führt ein Verstoß gegen DIN-Normen oder Regeln der Technik ohne weiteres zu einem Baumangel?
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Neue Entscheidung des OLG Köln vom 16.3.2016, Aktenzeichen 16 U 63/15 (nicht rechtskräftig, da Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof eingelegt worden ist).
Vorbemerkung: Wenn es um die richtige, mangelfreie, Bauausführung und deren ordnungsgemäße Überwachung geht, spielen DIN-Normen und allgemein anerkannte Regeln der Technik eine ausschlaggebende Rolle. Bei der nachstehenden Entscheidungsbesprechung geht es um die Frage, ob sich dieser Mangel tatsächlich auch verwirklichen muss, oder ob der Mangel schon vorhanden ist, wenn nur gegen technische Normen und Richtlinien verstoßen worden ist.
Der Begriff der allgemeinen anerkannten Regeln der Technik ist der Oberbegriff, der Begriff der DIN-Normen ist von der Gesetzessystematik her ein Unterbegriff, aber der wesentlich sprachgebräuchlichere. Neben den DIN-Normen spielen bei den allgemein anerkannten Regeln der Technik auch weitere technische Normen und Regelwerke, die zum Beispiel von Fachverbänden wie dem VDI entwickelt werden, eine ganz bedeutende Rolle. Aber auch in Bezug auf die immer weiter ausgreifende Bautechnik, verbunden mit entsprechenden vorfabrizierten Produkten, spielen Herstellerangaben eine ganz entscheidende Rolle bei der Frage, ob ein Bauprodukt bzw. eine Bauleistung mangelhaft verwendet bzw. mangelhaft erbracht worden ist. Daher gehören zum Begriff der allgemein anerkannten Regeln der Technik auch bindende Herstellervorgaben.
Im Folgenden werden zwei scheinbar divergierende Entscheidungen besprochen, bei denen es jeweils um die Frage geht, ob allein der Verstoß gegen eine technische Norm einen Baumangel darstellt oder nicht. Das OLG Köln geht im Jahr 2016 davon aus, dass OLG Celle im Jahr 2011 hingegen nicht.

Urteil des OLG Köln vom 16.3.2016, Aktenzeichen 16 U 63/15.

Problem/Sachverhalt: Ein Unternehmer errichtet im Jahr 1999, d. h. also vor dem neuen werkvertraglichen Mängelrecht im Rahmen der Schuldrechtsreform aus 2002, im Auftrag eines Bauherrn einen Rohbau.
Zugrunde liegt kein VOB-Bauvertrag, sondern ein reiner BGB-Bauvertrag.
Wegen gravierender Mängel, die auch die Standsicherheit des Gebäudes beeinträchtigen, kommt es vor der Abnahme der Bauleistung zum Streit.
Der Bauherr fordert die Kosten für einen vollständigen Abriss in Höhe von 300.000 €.
Der Bauunternehmer meint, es bedürfe keines Abrisses, vielmehr könne die Standsicherheit durch Nachbesserungen hergestellt werden.
Das hierzu erstinstanzlich angerufene Landgericht entschied infolge eines Sachverständigengutachtens. Der Gutachter hatte zunächst festgestellt, dass jedenfalls ein Teil der Mängel, (wie ein unzureichendes Überbindemaß des Kellermauerwerks und die Herstellung tragender Wände aus bauaufsichtlich nicht zugelassenen Luftkanalsteinen) nicht nachgebessert werden können.
Der Sachverständige meinte aber, es bedürfe keines Abrisses, sondern der Schaden könne durch einen angemessenen Preisnachlass ausgeglichen werden. Das Landgericht folgt dem Sachverständigen und weist die Klage auf Zahlung der Abrisskosten ab.
Zwischenbemerkung: Eine solche Entscheidung ist mit Verlaub grob rechtsfehlerhaft. Ein Sachverständiger ist nur damit beauftragt und vor allen Dingen nur dazu befähigt, Baumängel festzustellen und die Frage zu beantworten, ob die entsprechend festgestellten Baumängel behebbar sind durch Nachbesserungsmaßnahmen oder nicht. Die vom Sachverständigen ausgesprochene Feststellung, die Mängel seien nicht behebbar, aber ein Preisnachlass sei komplett ausreichend, ist bei der Frage, ob Stand sichere Wände vorliegen, völlig unverhältnismäßig und komplett neben der Auftragstellung. Noch skandalöser ist die daraus folgende Entscheidung des Landgerichts. Das Landgericht, d. h. ein Spruchkörper von drei Berufsrichtern, hätte erkennen müssen, dass entsprechend der richterlichen Fragestellung in der Beweisaufnahme, die Frage nach der Mangelhaftigkeit des streitgegenständlichen Bauvorhabens sowie die Frage, ob Nachbesserung im Sinne des Einwands des beklagten Bauunternehmers zutreffend ist, vom Sachverständigen beantwortet worden ist in der Weise, dass die Nachbesserung eben nicht mehr möglich ist, weil die Mängel nicht behebbar sind. Demzufolge wäre allein der Abriss die richtige Mängelbeseitigungsmaßnahme gewesen, die überdies auch vom Kläger gefordert worden war.
Diese Ausführungen erklären zunächst einmal, warum überhaupt das OLG Köln in jedem Fall hätte die Klage zusprechen und somit das Urteil des Landgerichts aufheben müssen.
In diesem Kontext ist dann auch zu werten, inwieweit sich das OLG Köln hier mit der Einhaltung von Normen auseinandersetzt und deren Nichteinhaltung als Mangel bewertet.
Entscheidung des OLG Köln: Natürlich hat das OLG Köln die Entscheidung des Landgerichts aufgehoben. Denn das Landgericht hatte völlig verkannt, dass der Unternehmer die Herstellung eines standsicheren und auch ansonsten mangelfreien Rohbauvorhabens schuldet.
Die Empfehlungen des Sachverständigen, es bei einem Preisnachlass zu belassen, hätten neben seinen fachlich richtigen Feststellungen überhaupt keine juristische Bedeutung erlangt, wenn nicht das Landgericht diesen gefolgt wäre.
Neben dieser Hauptentscheidung befasst sich das OLG Köln mit der Frage, ob die ebenfalls vom Sachverständigen festgestellte Nichteinhaltung von DIN-Norm und sonstigen Vorschriften wie Herstellerangaben ohne weiteres zu einem Baumangel an sich führt.
Hierzu führt der Senat wie folgt aus:
"Nach § 633 BGB a. F. liegt ein Baumangel vor, wenn das Werk mit Fehlern behaftet ist, die den Wert oder die Tauglichkeit zu dem gewöhnlichen oder dem nach dem Vertrage vorausgesetzten Gebrauch aufheben oder mindern. Ist nichts anderes vereinbart, sichert der Unternehmer in der Regel stillschweigend die Beachtung der anerkannten Regeln seines Fachs zu, wie sie unter anderem in DIN-Normen, Unfallverhütungsvorschriften etc. niedergelegt sein können.
Ein Verstoß hiergegen ist dann auch ohne Schadenseintritt ein Mangel, sofern der Unternehmer keine ihm günstige abweichende Vereinbarung beweist."
Um diese Aussage richtig bewerten zu können, muss darauf hingewiesen werden, dass es sich im vorliegenden Fall um einen reinen BGB-Bauvertrag gehandelt hat.
Die Rechtslage wäre eindeutig, hätte es sich, wie üblich um einen VOB-Bauvertrag gehandelt. Dort heißt es nämlich in § 13 Abs. 1 VOB/B:
"Die Leistung ist zur Zeit der Abnahme frei von Sachmängeln, wenn sie die vereinbarte Beschaffenheit hat und den anerkannten Regeln der Technik entspricht."
Die vorgenannte Entsprechung der Bauleistung mit den anerkannten Regeln der Technik ist ein Beschaffenheitskriterium, welches nicht vereinbart werden muss, sofern ein VOB-Bauvertrag vorliegt. Eine ganz andere Frage ist, ob dies auch gilt, wenn ein BGB-Bauvertrag vereinbart worden ist, denn die Definition des Sachmangels in § 633 BGB erwähnt die Regeln der Technik als Eigenschaft der Werkleistung eben nicht. Dasselbe und erst recht gilt für das alte Schuldrecht, welches auf den Rechtsstreit hier anzuwenden ist. Aus diesem Grunde hat sich der Senat mit einer Hilfskonstruktion geholfen, indem er von einer sogenannten stillschweigenden Zusicherung des Bauunternehmers gegenüber dem Bauherrn ausgeht, dahin gehend, dass der bei der Ausführung die technischen Regeln auch einhält. § 633 BGB lautete vor der Schuldrechtsreform wie folgt:
§ 633
(1) Der Unternehmer ist verpflichtet, das Werk so herzustellen, daß es die zugesicherten Eigenschaften hat und nicht mit Fehlern behaftet ist, die den Wert oder die Tauglichkeit zu dem gewöhnlichen oder dem nach dem Vertrage vorausgesetzten Gebrauch aufheben oder mindern.
Aufbauend auf dieser Vorschrift ging der Senat also davon aus, dass ein Bauunternehmer regelmäßig dem Bauherrn zusichert, er werde entsprechend den Normen und Hersteller Vorgaben ausführen.
Wegen des Fehlens dieser zugesicherten Eigenschaft liegt also im vorliegenden Streitfall ein Mangel vor. Ob diese Rechtsfolge der Nichteinhaltung der Normen oder Herstellervorgaben ohne tatsächlich eingetretenen Schaden zu einem Baumangel führt, ist in Anbetracht des nach der Schuldrechtsreform entwickelten Mangelbegriffs zweifelhaft.
§ 633 Abs. 1 BGB in der heutigen Fassung lautet:
(1) Der Unternehmer hat dem Besteller das Werk frei von Sach- und Rechtsmängeln zu verschaffen.
(2) Das Werk ist frei von Sachmängeln, wenn es die vereinbarte Beschaffenheit hat. Soweit die Beschaffenheit nicht vereinbart ist, ist das Werk frei von Sachmängeln,
1. wenn es sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte, sonst
2. für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Werken der gleichen Art üblich ist und die der Besteller nach der Art des Werkes erwarten kann.
Insoweit ist also von zugesicherten Eigenschaften nicht mehr die Rede.

Entscheidung des OLG Celle vom 2.11.2011 unter Aktenzeichen 14 U 52/11.

Gänzlich in die andere Richtung geht eine Entscheidung des OLG Celle. Vorab sei bemerkt, dass es im Gegensatz zur Entscheidung des OLG Köln aus 2016 um die aktuelle Rechtslage nach der Schuldrechtsreform geht.
Zum Sachverhalt: Ein Bauherr wirft der ausführenden Firma vor, es habe ein sogenanntes Wärmedämmverbundsystem mangelhaft ausgeführt. Es sei ein System fremder Oberputz verarbeitet worden und damit sei gegen die bauaufsichtliche Produktzulassung sowie gegen einschlägige DIN-Norm verstoßen worden.
Entscheidung: Das OLG Celle weist die Klage ab.
Durch Sachverständigenbeweis stellt der Senat fest, dass die eingebaute Wärmedämmung nicht mangelhaft ist. Hier geht das Gericht richtig vor, denn es wertet alleine die Aussagen des Sachverständigen in bautechnischer Hinsicht. Die juristischen Schlussfolgerungen trifft das Gericht selbst. Daher geht es dann unabhängig von dem Votum des Sachverständigen auf die Frage ein, ob der ebenfalls festgestellte Verstoß gegen die sachgerechte Verpuffung und die Verwendung eines nicht zugelassenen Oberputzes nicht einen Mangel an sich darstellt.
Hierzu geht der Senat auf den Vertrag und auf die neuere Menge Vorschrift § 633 BGB ein. Danach schuldete die ausführende Firma nur eine Wärmedämmung, aber eben kein Verbundsystem, wie es letztendlich ausgeführt wurde.
Jedenfalls, so die Feststellung des Senats, erfüllte das konkret eingebaute Wärmedämmverbundsystem die ausdrücklichen Vorgaben im Hinblick auf die Wärmedämmung.
Konkret stand im Vertrag, dass sich die ausführende Firma verpflichtet, "das Bauwerk gemäß Baubeschreibung herzustellen und auszustatten, nur normgerechte Baustoffe zu verwenden und das Bauvorhaben nach den anerkannten Regeln der Baukunst und technisch einwandfrei zu errichten."
Im Übrigen stellt der Senat auch fest, dass sich der Unternehmer regelmäßig stillschweigend gegenüber dem Auftraggeber zur Beachtung der anerkannten Regeln der Technik verpflichtet. Insoweit geht das OLG Celle mit den Ausführungen des OLG Köln aus 2016 überein.
Im Gegensatz zu dem Urteil des OLG Köln zur alten Rechtslage sieht aber der Senat unter Zuhilfenahme der aktuellen Mängelvorschriften des Werkvertrags durch das konkret ausgeführte Wärmedämmverbundsystem keine besondere Beschaffenheitsvereinbarung verletzt.
Jedenfalls liegt keine besondere Beschaffenheitsvereinbarung für den Senat vor und es kann nur auf die übliche Beschaffenheit abgestellt werden.
Eine solche Vorgehensweise ist in Anbetracht der zuvor zitierten Vertragsklausel mit Zweifeln zu begegnen. Meines Erachtens liegt in der vertraglichen Zusicherung, nur normgerechte Baustoffe zu verwenden, eben eine besondere Beschaffenheitsvereinbarung hinsichtlich der Baustoffe, die hier nicht erfüllt ist. Daher ist vom Ergebnis her die Auslegung des Senats in Celle unverständlich. Der eigentliche Grund für diese Auslegung liegt wohl darin, dass nach der Klageerhebung das hier konkret verbaute Wärmedämmverbundsystem bauaufsichtlich zugelassen worden ist. D. h. zum Zeitpunkt der Entscheidung war das Wärmedämmverbundsystem bauaufsichtlich zugelassen und damit für sich gesehen, wenn es so ausgeführt worden ist wie hier, mangelfrei. Es handelt sich also hier um eine Ergebnis Rechtsprechung, d. h. man entwickelt nicht das Recht zu einem Ergebnis, sondern man will ein Ergebnis und entwickelt daraufhin die Argumentation.
Wichtig in diesem Zusammenhang und für unsere Leser ist aber der Hinweis des Senats darauf, dass die Normen nicht unbedingt zum verpflichtenden Teil der allgemein anerkannten Regeln der Technik zählen, sondern alleine privatrechtliche Empfehlungen sind, die für sich gesehen die bauausführenden Parteien nicht binden, sondern deren rechtliche Bindung ausdrücklich im Vertrag vereinbart werden muss. Meines Erachtens liegt aber eine solche Vereinbarung bereits dann vor, wenn – wie hier – der Unternehmer die normgerechte Ausführung verspricht.
Dieser Beitrag wurde verfasst von Rechtsanwalt Frank Thiele, Köln
Bauprofessor-Redaktion
Dieser Beitrag wurde von unserer Bauprofessor-Redaktion erstellt. Für die Inhalte auf bauprofessor.de arbeitet unsere Redaktion jeden Tag mit Leidenschaft.
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