Sachverständige können Rechtsstreitigkeiten entscheidend beeinflussen. Sie beraten, vermitteln und suchen nach Möglichkeiten zur Einigung von Streithähnen. Begutachtungen setzen oft eine Bauteilöffnung voraus. Ob sich diese Konflikte wirklich lösen lassen, erläutert Andreas Neumann, Rechtsanwalt mit den Schwerpunkten Bau- und Immobilienrecht.
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Bei Mängelvorwürfen kommt es nicht selten auf eine Bauteilöffnung an – sei es im Rahmen des von mir grundsätzlich kritisierten selbständigen Beweisverfahrens (siehe dazu hier) oder im Rahmen einer Beweisaufnahme im Klageverfahren.
Ob zum Beispiel eine Dämmung normgerecht angebracht ist oder ob Feuchtigkeitseintritte vom Dachdecker zu verantworten sind, kann oft nur durch Zerstörung nachgelagerter Gewerke ordnungsgemäß geprüft werden.
Unter einer Bauteilöffnung versteht man alle erforderlichen zerstörenden Maßnahmen an einem Objekt, die notwendig sind, um Ursachen für eine Mangelerscheinung zu ermitteln. |
Eine solche Bauteilöffnung birgt Risiken sowohl für die Eigentümer des betroffenen Objekts als auch für den Sachverständigen. Sie stellt in jedem Falle im Laufe eines Ortstermins eine weitere Eskalationsstufe dar. Vor einer solchen Bauteilöffnung empfiehlt es sich daher stets, noch einmal innezuhalten und den Parteien die Folgen deutlich vor Augen zu führen. Wer am Ende für die Wiederherstellung eines ordnungsgemäßen Zustands zahlen muss, kann vor der Bauteilöffnung kaum vorhergesehen werden.
Erkennt ein Sachverständiger, dass eine Bauteilöffnung geboten ist, so sollte dies als ein möglicher Wendepunkt und eine mögliche Chance genutzt werden. Der Sachverständige kann nach den äußeren Umständen vorläufig bewerten, mit welcher Wahrscheinlichkeit welches Ergebnis zu erwarten sein dürfte. Dies gehört nach meiner Auffassung sogar zu den ureigensten Aufgaben einer sachverständigen Begutachtung und ist keineswegs als Verstoß gegen die Neutralitätspflicht zu werten.
Wendepunkt im Rechtsstreit
Eine Bauteilöffnung führt selten zu eindeutigen Ergebnissen, sodass in der Regel dadurch für beide Seiten im Ergebnis die Kostenlast steigt. Sie ist somit ein weiterer möglicher Wendepunkt im Rahmen eines Rechtsstreits, wenn frühere Verhandlungen noch keinen Erfolg zeitigen konnten (siehe dazu hier).
Im Verfahren vor dem Amtsgericht Münster 48 H 4/21 etwa hat sich die Vermieterin im Hinblick auf die vorläufige Einschätzung des Sachverständigen, dass nach den äußeren Umständen eine überwiegende Wahrscheinlichkeit bauseitiger Schimmelbildung vorliegen dürfte und nicht etwa mangelnden Lüftungsverhaltens der Mieterin, direkt bereiterklärt, die entsprechenden Sanierungsmaßnahmen zu beauftragen.
Der Vorbehalt bezüglich eines Teils der wegen Schimmels geminderten Miete wurde zurückgenommen, und der Sachverständige brauchte kein Gutachten mehr zu verfassen. Folglich wurde der Kostenvorschuss überwiegend zurückerstattet. So konnte dieser Konflikt wirtschaftlich und nachhaltig geschlichtet werden.
Ungünstiger ist es für eine einvernehmliche Streitschlichtung, wenn für die Bauteilöffnung erst nach einem ersten Termin ein gesonderter weiterer Termin anberaumt wird. Ob den beteiligten Anwälten in einem solchen Fall noch ohne zumindest vorläufige, neutrale sachverständige Einschätzung eine pragmatische Schlichtung gelingt, ist unwahrscheinlich, insbesondere im Hinblick auf die drohende Anwaltshaftung.
Den neutralen Sachverständigen als Herren einer Beweisaufnahme kommt somit stets eine Schlüsselposition bei der Wahrnehmung des Wendepunkts einer im Raume stehenden Bauteilöffnung zu. Sie sollten demgemäß auch die Grundzüge der alternativen Streitbeilegung beherrschen.