Was bedeutet „barrierefrei“ Bauen?
Diese Frage ist grundlegend im § 4 Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) definiert:
"Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für behinderte Menschen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind."
Nach europäischem Maßstab wird die Barrierefreiheit beim Bau unter Tz. 3.1 in der DIN EN 17210 definiert als die: „Bereitstellung von Gebäuden, Gebäudeteilen oder gebauten Umwelten im Freien, zu denen Menschen unabhängig von einer Behinderung, ihres Alters oder Geschlechts Zugang erhalten, diese betreten, nutzen und verlassen können“.
Für wen wird barrierefrei gebaut?
Barrierefrei wird nach § 4 BGG für behinderte Menschen gebaut. Die Behinderung kann sowohl auf eingeschränkten Sinnen oder motorischen und kognitiven Einschränkungen beruhen. Barrierefreies Bauen berücksichtigt also die Bedürfnisse von Menschen, die blind oder sehbehindert, taub oder schwerhörig sind, aber auch von Menschen, die Mobilitätshilfen oder Rollstühle benutzen, weil sie z. B. gehbehindert oder gelähmt sind. Zudem profitieren auch ältere Menschen, Kinder, sowie Groß- und Kleinwüchsige und Menschen mit Einschränkungen der geistigen Wahrnehmung oder Informationsverarbeitung (Kognition) von barrierefrei gebauten Gebäuden, Wohnungen, Anlagen und Verkehrsräumen.
Wo soll barrierefrei gebaut werden?
Regelungen zum barrierefreien Bauen sind bedeutend für öffentliche Verkehrs- und Freiräume, öffentlich zugängliche Gebäude aber auch für den Bau von Wohnungen. Die Normen zum barrierefreien Bauen sind in Deutschland Empfehlungen. Durch die Festlegungen in den Landesbauordnungen kann jedoch deren Einhaltung gefordert werden so z. B. für bestimmte Bauten, wie „Gebäude mit mehr als zwei Wohnungen“ oder Anlagen wie Kindertageseinrichtungen, Gerichtsgebäude, Verkaufs- und Beherbergungsstätten, Stellplätze, Sport- und Freizeitstätten sowie Einrichtungen des Gesundheitswesens. In der europaweit gültigen DIN EN 17210 wird genau beschrieben wie ein Nullbarriere-„Universal Design“ aussehen soll und wie dessen einzelne Elemente zu gestalten sind, sodass die Umgebungen, Gebäude und Verkehrswege von allen Personen möglichst weitgehend ohne eine Anpassung oder eine spezielle Gestaltung genutzt werden können, wobei aber Hilfsvorrichtungen, die z. B. von Menschen mit Behinderungen benötigt werden, nicht ausgeschlossen werden. Es geht in dieser Norm um die Funktionalität des Designs hinsichtlich der Nullbarriere-Nutzung, -Bedienung und -Verwendung. Was muss beim barrierefreien Bauen von öffentlich zugänglichen Gebäuden beachtet werden?
Öffentlich zugängliche Gebäude benötigen Verkehrs- und Bewegungsflächen, die so bemessen sind, dass auch Menschen in Rollstühlen, die meist den größten Flächenbedarf haben, das Gebäude barrierefrei erreichen und nutzen können. Bauteile oder Ausstattungselemente, die in die Bewegungsflächen hineinragen, müssen auch für blinde und sehbehinderte Menschen wahrnehmbar sein, bzw. dürfen gehbehinderte Menschen nicht einschränken.
Auf Parkplätzen der öffentlich zugänglichen Gebäude müssen PKW-Stellplätze für Menschen mit Behinderung ausgewiesen und gekennzeichnet werden. Sie sollten zudem nicht weit von behindertengerechten Zugängen zum Gebäude entfernt liegen.
Die Zugangs- und Eingangsbereiche erfüllen die Bedürfnisse von sehbehinderten Menschen, indem sie visuell kontrastierend gestaltet (z. B. helles Türelement dunkle Umgebungsfläche) und gut beleuchtet sind. Für blinde Menschen müssen taktil (über den Tastsinn) erfassbare, unterschiedliche Bodenstrukturen für die leichte Auffindbarkeit sorgen.
Die verschiedenen Etagen der öffentlich zugänglichen Gebäude müssen stufen- und schwellenlos erreichbar sein, wozu Rampen oder Aufzüge genutzt werden können, an die die Normung spezielle Anforderungen vorgibt. Treppen können von Menschen im Rollstuhl nicht genutzt werden. Sie sollten aber so gestalten sein, dass Blinde und Sehbehinderte, sowie Menschen mit motorischen Einschränkungen diese barrierefrei nutzen können. Dazu müssen Treppen z. B. Setzstufen haben, beidseitige, griffsichere und gut umgreifbare Handläufe und Orientierungshilfen, wie durchgehende Streifen als Stufenmarkierungen auf den Vorderkanten der Trittstufen. Barrierefreie Türen müssen leicht (wenig Kraftaufwand) zu öffnen und schließen und sicher zu passieren sein. Dazu benötigen sie z. B. ausreichende Breiten, eine visuell kontrastierende Gestaltung, taktile eindeutig erkennbare Türblätter und -zargen. Die Drückergarnituren sollen greifgünstig (z. B. bogen- oder u-förmige Griffe) sein. Alle Kommunikationsanlagen öffentlicher Gebäude müssen behindertengerecht bedienbar sein. Das bedeutet zum Beispiel, dass Klingeln, Türöffner und Aufzugsbedienelement sowohl in einer Höhe angebracht werden, die für Rollstuhlnutzer erreichbar ist, dass genügend Bewegungsfläche vor den Kommunikationsanlagen eingeplant wird, und dass diese nach dem Zwei-Sinne-Prinzip visuell kontrastierend gestaltet und taktil oder akustisch wahrnehmbar sind.
Nullbarriere-Kommunikationsanlage im und vor einem Aufzug mit taktilen (tastbaren), für Rollstuhlfahrer bedienbaren Elemente und akustischen Durchsagen zu Stockwerk und Aufzugsfunktion (Lautsprecher) sowie großen Bewegungsflächen vor dem Fahrstuhl
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Im Außenbereich müssen die Gehwege ausreichend Platz für Rollstuhlfahrer und Menschen mit Gehhilfen bieten, sollen eine ebene und feste Oberfläche haben sowie für Menschen mit Blindenstock über eine Begrenzung verfügen, die diese wahrnehmen können. Unterschiedliche Ebnen sind über Treppen, Fahrtreppen, Fahrsteige, Rampen und Aufzüge erreichbar zu machen, wobei gilt, dass es für alle Menschen eine barrierefreie Möglichkeit geben muss, die Ebenen zu wechseln. Die Planungsgrundlagen für öffentliche Verkehrs- und Grünanlagen, Spielplätze sowie Wege und Plätze finden sich in der DIN 18024-1. Hier wird auch beschrieben, wie barrierefreien Zugänge zu Grünanlagen und Spielplätze gebaut werden sollen. Wann ist auch im Wohnungsbau barrierefreies Bauen gefordert?
In den Bauordnungen der Länder ist verbindlich geregelt, wann im Wohnungsbau barrierefrei gebaut werden muss. In der Thüringer Bauordnung (ThürBO) heißt es dazu z. B.: „In Gebäuden mit mehr als zwei Wohnungen müssen die Wohnungen mindestens eines Geschosses barrierefrei erreichbar sein; diese Verpflichtung kann auch durch eine entsprechende Zahl barrierefrei erreichbarer Wohnungen in mehreren Geschossen erfüllt werden.“
Die DIN 18040-2 Barrierefreies Bauen - Planungsgrundlagen - Teil 2: Wohnungen regelt die barrierefreie Planung, Ausführung und Ausstattung von Wohnungen, Gebäuden mit Wohnungen und Außenanlagen, die der Erschließung und wohnbezogenen Nutzung dienen. Die Norm unterscheidet zwischen barrierefreiem Bauen und rollstuhlgerechtem Bauen, wobei mit dem rollstuhlgerechten Bauen höhere Anforderungen verbunden sind.
Die DIN 18040-2 bzw. einzelne Punkte daraus müssen durch die Bundesländer jeweils in die Technischen Baubestimmungen eingeführt werden.
Bei der barrierefreien Planung, Ausführung und Ausstattung von Wohnungen und Gebäuden mit Wohnungen und Außenanlagen, werden Anforderungen an die Maße für Verkehrs- und Bewegungsflächen festgelegt, so dass diese durch Rollstuhlfahrer und Nutzer von Rollatoren ohne Schwierigkeiten benutzt werden können. Barrierefreie Wege, Plätze und Zugänge von den öffentlichen Verkehrsflächen bis zu den Wohnungen werden beschrieben. Die Ausstattung der Treppen mit griffsicheren und gut umgreifbaren Handläufen wird geregelt, der Aufbau von Rampen beschrieben. Werden Aufzugsanlagen bzw. Fahrstühle in die Gebäude mit behindertengerechten Wohnungen gebaut, finden sich in der DIN 18040-2 die Anforderungen für die Verkehrs- und Bewegungsflächen dieser Anlagen sowie die Beschreibung von deren Ausstattung. Es wird geschildert, dass Türen deutlich erkennbar, leicht zu öffnen und zu schließen und sicher passierbar sein müssen. Durchgangsbreiten werden definiert. Zudem ist festgelegt, dass wenigstens ein Fenster pro Raum auch für Rollstuhlnutzer und Menschen mit motorischen Behinderungen leicht geöffnet werden kann und auch im Sitzen muss ein Teil der Fenster der Wohnung den Blick ins Freie erlauben. Für die Sanitärräume, wie Badezimmer oder Gäste-WCs werden Maße von Sanitärobjekten, als Duschkabinen, Badewannen und Waschtische festgelegt. Regelungen für Bewegungsflächen und Abstände finden sich sowohl für Sanitärräume, aber auch für Küchen, Essplätze, Wohn- und Schlafzimmer.
Barrierefreies Bauen im Öffentlichen Verkehrs- und Freiraum
Welche Anforderungen an barrierefreies Planen und Bauen im öffentlichen Verkehrs- und Freiraum gestellt werden, ist in der DIN 18040-3 beschrieben. Neben den allgemeinen Planungsanforderungen werden die Bedingungen an die Elemente der Verkehrsinfrastruktur, wie Gehwege, Fußgängerbereiche und Überquerungsstellen geregelt und die Anforderungen an sonstige Verkehrsinfrastrukturelemente, wie Möblierung, Notrufanlagen und Sanitärräume festgelegt. Bedienelement an Fußgänger-Ampel mit Brailleschrift-Information und akustischem Freigabesignal bei "Grün" (Zwei-Sinne-Prinzip)
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Das Grundprinzip, dem die Anforderungen des Bauens in diesem Bereich folgen müssen, ist die durchgängige und barrierefreie Nutzbarkeit im öffentlichen Verkehrs- und Freiraum über Zuständigkeitsgrenzen hinweg. So müssen stufenlose Wegverbindungen für Rollstuhl- und Rollatornutzer geschaffen werden. Wege müssen aus ebenen, rutschhemmenden und erschütterungsarm berollbaren Bodenbelägen bestehen. Besonders für blinde und sehbehinderte Menschen ist die sichere taktile und visuell gut wahrnehmbare Abgrenzung verschiedener Funktionsbereiche, wie Gehweg und Straße notwendig, sowie eine einheitliche Gestaltung der Leitsysteme. Generell gilt im öffentlichen Verkehrs- und Freiraum zur Informationsübermittlung das Zwei-Sinne-Prinzip. Das bedeutet, dass von den drei Sinnen Sehen, Hören und Tasten, wenigstens zwei angesprochen werden sollen, damit Menschen mit sensorischen Einschränkungen sicher mobil sein können und das durchgängig und über Zuständigkeitsgrenzen hinweg.
Für Gehwege werden über die durchgängige Nutzbarkeit hinaus, Anforderungen an die Maße der Begegnungsflächen gestellt. Unvermeidbare Engstellen und Einbauten auf Bürgersteigen müssen für alle Menschen rechtzeitig erkennbar sein und daher taktil, akustisch und/oder visuell stark kontrastierend wahrgenommen werden können. Dies wird über Bodenindikatoren erreicht. Diese standardisierten Bodenelemente mit Rippen- oder Noppenstruktur dienen blinden und sehbehinderten Menschen zur Information, Orientierung, Leitung und Warnung. Für Überquerungsstellen von Straßen, sogenannte Fußgängerübergänge oder Fußgängerüberwege gilt, dass diese für alle gut auffindbar sein müssen, dabei haben Borde und deren entsprechende Ausführung für blinde und sehbehinderte Menschen eine wesentliche Bedeutung. Für Rollstuhl- und Rollatornutzer dürfen diese aber obendrein nicht zu hoch sein, damit sie kein Hindernis darstellen. Es sind daher unterschiedliche Bordhöhen für gemeinsame und getrennte Übergänge festgelegt. Die Lichtsignalanlagen an Fußgängerüberwegen, also die Fußgängerampeln sollen mit akustischen Freigabesignalen während der gesamten Grünphase kombiniert werden, sodass blinde und sehbehinderte Menschen sicher die Straße überqueren können.
Bushaltestelle mit abgesenktem Bordstein, sodass Rollstuhlnutzer bei Absenkung des Busses ("Kneeling“) problemlos einsteigen können und kontrastierenden Bodenindikatoren in Rillenstruktur zur Orientierung für blinde und sehbehinderte Menschen
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Weitere Regelungen betreffen Aufzüge, Rampen und Treppen, die Anordnung und Gestaltung behindertengerechter Parkplätze sowie die Ausstattung und Gestaltung von Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel auch in Abhängigkeit von den Fahrzeugen und deren Möglichkeiten einer behindertengerechten Nutzbarkeit.