01.07.2024 | Baurecht / BGB

Pfusch am U-Bahn-Bau? – Der Einsturz des Kölner Stadtarchivs

Bis heute ist das Unglück des Kölner Stadtarchivs beispiellos. Zwei Menschen starben, als am 3. März 2009 das Gebäude plötzlich donnernd einstürzte. Acht Jahre später begann ein Gerichtsprozess – beim U-Bahn-Bau unter dem Archiv soll gepfuscht worden sein. Im dritten Teil unserer Serie zu strafrechtlichen Risiken in der Baubranche schreibt Rechtsanwalt Frederick Brüning-Bliddal über die branchenübergreifende Bedeutung von Vorgaben und Dokumentation.
Der Einsturz des Kölner Stadtarchivs am 3. März 2009 mit zwei Toten ist bis heute außergewöhnlich. Während des U-Bahn-Baus des Kölner Stadtarchivs soll gepfuscht worden sein. Mehr als acht Jahre später erhob die Staatsanwaltschaft Anklage. Sieben Menschen sollen sich demnach vor Gericht für den Einsturz verantworten – zwei Beschäftigte der Kölner Verkehrs-Betriebe und fünf Mitarbeiter der am U-Bahn-Bau beteiligten Unternehmen. Die Anklage lautet auf fahrlässige Tötung und Baugefährdung.

Das Unglück

Am 03.03.2009 schreckten laute Warnrufe von Arbeitern einer U-Bahn-Baustelle die Menschen in der Kölner Severinstraße auf. Nur Augenblicke später stürzte das Historische Stadtarchiv donnernd zusammen. Zwei junge Männer, die in einem der zerstörten Nachbarhäuser wohnten, starben in den Trümmern. Gut 90 % des historisch wertvollen Archivmaterials wurden verschüttet. Durch das Unglück entstand ein Sachschaden in Höhe von 1,2 Milliarden Euro. Zu weiteren Toten kam es nur deswegen nicht, weil die Menschen, die sich im Archiv befanden, ein dumpfes Grollen vernahmen und offenbar noch Zeit hatten, um sich vor dem Einsturz in Sicherheit zu bringen – Glück im Unglück.

Der Fehler

Die Unfallursache war lange Zeit unklar: Beim Ausbau der geplanten U-Bahn-Haltestelle Waidmarkt direkt unter dem Archivgebäude seien die Bauarbeiter 2005 auf einen Gesteinsblock gestoßen, meinte die anklagende Staatsanwaltschaft. Beim Versuch, einen großen Stein zu entfernen, seien die Zähne des Schaufelbaggers immer wieder abgebrochen. Daraufhin habe der Polier (der Baustellenleiter) unter großem Zeitdruck entschieden, das Hindernis dort zu belassen. Ein fataler Fehler!
In der Betonwand der U-Bahn-Haltestelle sei dadurch ein Loch entstanden, eine sog. Erdplombe. Durch diese Fehlstelle seien am Tag des Einsturzes durch aufgestauten Druck große Mengen Sand und Kies in die Baustelle hineingebrochen. Daraufhin sei unter dem Archiv ein Hohlraum entstanden, sodass das sechsstöckige Gebäude einstürzte.
Die Verteidigung der Angeklagten vertrat dagegen die Ansicht, auch ein hydraulischer Grundbruch – also ein schicksalhaftes Naturereignis, das durch Bodenverschiebungen hervorgerufen wird – sei als Unglücksursache nicht auszuschließen. Es wurden zahlreiche Gutachten verfasst.
Lange war unklar, warum das Kölner Stadtarchiv einstürzte. Beim Ausbau der U-Bahn-Haltestelle direkt unter dem Gebäude stießen Bauarbeiter auf einen Gesteinsblock, dessen Entfernung sich als schwierig herausstellte. Unter Zeitdruck entschied der Polier deshalb, ihn dort zu belassen. Die Folgen waren fatal.
Lange war unklar, warum das Kölner Stadtarchiv einstürzte. Beim Ausbau der U-Bahn-Haltestelle direkt unter dem Gebäude stießen Bauarbeiter auf einen Gesteinsblock, dessen Entfernung sich als schwierig herausstellte. Unter Zeitdruck entschied der Polier deshalb, ihn dort zu belassen. Die Folgen waren fatal. Bild: © f:data GmbH

Der Verdacht

Kommt es durch den Einsturz eines Gebäudes oder durch Vorgänge am Bau zu einer Verletzung oder Tötung eines Menschen, so leiten die Staatsanwaltschaften regelmäßig Ermittlungen wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung bzw. Körperverletzung (§§ 222, 229 StGB) in die Wege. Diese richten sich meist nicht nur gegen die unmittelbar am Bau tätigen Personen, sondern auch gegen Bauherrn, Gutachter und Vertreter der Bauaufsicht, denen vorgeworfen wird, gegen die von den Bauwerken bzw. den Baustellen ausgehenden Gefahren nichts unternommen zu haben.
Daneben kommt auch der Tatbestand der Baugefährdung (§ 319 StGB) in Betracht. Täter des § 319 StGB kann nur sein, wer einen Bau oder den Abbruch eines Bauwerks plant, leitet oder ausführt. Insbesondere der Bauherr gehört daher nicht zum Kreis der tauglichen Täter. Soweit bei Unfällen am Bau mit Toten und / oder Verletzten Ermittlungen gegen Bauherrn, Gutachter oder Mitarbeiter der Bauaufsicht eingeleitet werden, ist „nur“ der Tatbestand der fahrlässigen Körperverletzung bzw. Tötung zu prüfen.
Die strafrechtliche Aufarbeitung des Einsturzes des Kölner Stadtarchivs ist von verschiedenen Entscheidungen des Landgerichts Köln und des Bundesgerichtshofes geprägt, der mehrere Entscheidungen des Landgerichts Köln wegen fahrlässiger Tötung aufgehoben und den Fall zur abermaligen Verhandlung an eine Strafkammer des Landgerichts Köln zurückverwiesen hat. Die komplexen tatsächlichen und rechtlichen Konstellationen der am Fall handelnden Akteure macht eine klare Schuldzuweisung schwer, was als unbefriedigend verstanden werden darf.

Das Fazit

Der vorliegende Fall zeigt deutlich auf, dass der Umfang von Sorgfaltspflichten stark vom Einzelfall abhängt und somit zu erheblichen Risiken für alle Beteiligte am Bau führt. Mit Blick auf die Praxis ist daher einmal mehr die branchenübergreifende Bedeutung von organisatorischen Vorgaben und der Dokumentation von Maßnahmen – wie durch ein Compliance-Management-System – zur Reduzierung von (branchen-) spezifischen Risiken zu betonen. Es geht um Leben und Tod.
Frederick Brüning-Bliddal
Ein Artikel von
  • Rechtsanwalt | zertifizierter Coach
  • Bau- und Immobilienrecht und Commercial Law
  • Dozent an der IU Internationale Hochschule für allgemeines und besonderes Wirtschaftsrecht
  • Rechtsanwaltskanzlei Frederick Brüning-Bliddal, Im Gleisdreieck 17, 23566 Lübeck
  • Tel.: 0451 6105311, Mobil: 0179 5711119
  • Web.: www.kanzlei-bruening.com
  • E-Mail: info@kanzlei-bruening.com
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