Der Bauherr ist verantwortlich dafür, dass von der Baustelle keine Gefahren ausgehen, durch die Menschen zu Schaden kommen können. Wie wichtig Verkehrssicherungspflichten sind, erläutert Rechtsanwalt Frederick Brüning-Bliddal im vierten Teil unserer Serie zu strafrechtlichen Risiken in der Baubranche.
Die Errichtung von Bauvorhaben ist ein komplexer, arbeitsteiliger Vorgang, in dessen Zentrum der Bauherr als Auftraggeber steht. Kommt es durch einen Unfall am Bau zur Verletzung fremder Rechtsgüter, so steht insbesondere eine deliktische Haftung des Bauherrn nach § 823 Abs. 1 BGB wegen Missachtung der Verkehrssicherungspflicht im Fokus. Anspruchsinhaber kann grundsätzlich jeder sein, der sich (berechtigt) in der Reichweite der zu sichernden Baustelle befindet.
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Bauvorhaben begründet eine Gefahrenquelle
Als derjenige, der mit seinem Bauvorhaben die Gefahrenquelle eröffnet, ist der Bauherr im Ausgangspunkt dafür verantwortlich, dass von der Baustelle keine Gefahren ausgehen, durch die Dritte Schäden erleiden können. Dem Bauherrn trifft somit die sogenannte Verkehrssicherungspflicht. Seine Verkehrssicherungspflicht dauert grundsätzlich so lange an, wie die Baustelle als Gefahrenquelle besteht, d. h. regelmäßig bis zum Ende der Arbeiten mitsamt dem vollständigen und ordnungsgemäßen Räumen der Baustelle.
Umfang der Verkehrssicherungspflicht
Art und Umfang der Verkehrssicherungspflicht richtet sich nach den tatsächlichen Gegebenheiten auf der Baustelle, der Größe, der Verkehrsgefahr und den von den einzelnen Unternehmern auszuführenden Arbeiten. Maßstab sind insoweit die Vorgaben öffentlich-rechtlicher Schutzvorschriften, die anwendbaren Unfallverhütungsvorschriften sowie die einschlägigen DIN-Normen, deren Verletzung regelmäßig auf die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht und die Ursächlichkeit eines Verstoßes für den Unfall hindeutet.
Einzelbestimmungen des Arbeitsschutzgesetzes und der hierzu ergangenen Verordnungen, insbesondere der Baustellenverordnung, werden angesichts der in § 3 Abs. 1 ArbSchG, § 1 BaustellV formulierten Schutzrichtung als Schutzgesetze zugunsten der am Bau Beschäftigten angesehen. Eine Haftung des Bauherrn wegen mangelhafter Planung und Koordinierung des Arbeitsschutzes nach §§ 2, 3 BaustellV kommt in Betracht, wenn die Arbeitgeber nur aufgrund von Hinweisen des Bauherrn eine Gefahr hätten erkennen und vermeiden können, so etwa bei Gefahren von anderen Gewerken. Übertragung der Verkehrssicherungspflicht
Es steht dem Bauherrn zwar frei, Bauplanung, Bauaufsicht und Bauausführung einem Architekten sowie dem Bauunternehmer zu übertragen, sodass auf diese auch die damit verbundenen Verkehrssicherungspflichten übergehen und insbesondere der Bauunternehmer haftungsmäßig im Vordergrund steht. Der Bauherr kann sich dementsprechend durch die Beauftragung geeigneter Fachunternehmen entlasten. In diesem Fall kann er sich grundsätzlich darauf verlassen, dass die beauftragten Unternehmen die notwendigen Sicherheitsvorkehrungen ergreifen.
Damit wird er jedoch nicht gänzlich frei, sondern es verbleibt die Pflicht, die zuvor sorgfältig ausgewählten Personen weiter zu überwachen. Die ursprüngliche Verkehrssicherungspflicht des Bauherrn modifiziert sich zu einer Organisations-, Anweisungs- und Überwachungspflicht. So bleibt nach den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen die Pflicht des Bauherrn erhalten, wenn ihm gefahrenträchtige Umstände bekannt sind oder die getroffenen Sicherungsmaßnahmen so offensichtliche Fehler aufweisen, dass eine unmittelbare Gefahr für die am Bau tätigen Personen erkennbar wird. Er hat dann dafür zu sorgen, dass diese Umstände auch von dem Bauunternehmer erkannt und berücksichtigt werden. Notfalls muss er die Gefahr selbst beseitigen. Weiter muss der Bauherr einschreiten, wenn er konkreten Anlass zu Zweifeln haben musste, ob der beauftragte Bauunternehmer (oder Architekt) den Gefahren und Sicherungsanforderungen in gebührender Weise Rechnung trägt.
Umfang der Überwachungspflicht
Die Überwachung des Bauunternehmens (oder Architekten) braucht nicht lückenlos zu sein, muss aber stichprobenartig erfolgen, etwa durch regelmäßige Rundgänge, die je nach den Umständen des Einzelfalls auch nicht zu selten stattfinden dürfen. Werden – wie bei größeren Bauvorhaben üblich – unterschiedliche Gewerke von verschiedenen Handwerkern ausgeführt, die zeitlich zu koordinieren sind, um Gefahren zu vermeiden, genügt es, wenn der Bauherr die betreffenden Handwerker zusammenführt und ihnen die Absprache ermöglicht. Er muss hingegen grundsätzlich nicht überprüfen, ob die getroffenen Absprachen auch eingehalten werden. Es gibt also keine Haftung des Bauherrn für Folgen misslungener Kommunikation zwischen Handwerksunternehmen.
Die Intensität der Aufsichtspflicht kann geringer sein, wenn der Bauherr einen ihm als zuverlässig bekannten sachkundigen Architekten und einen solchen Bauunternehmer beauftragt hat. Sie kann eventuell sogar ganz entfallen, wenn er ein auf die betreffenden Arbeiten spezialisiertes Unternehmen beauftragt, dem zugleich auch die Kontrolle obliegt. Stehen besonders gefährliche Arbeiten an, die sogar gesetzlich eigens erfasst werden, wie etwa Grundstücksvertiefungen im Bereich des nachbarschützenden § 909 BGB, ist seine persönliche Voranfrage bei einem Spezialunternehmen zwingend.
Fazit
Niemand ist ohne Weiteres dazu verpflichtet, die Rechtsgüter Dritter vor Schaden zu bewahren. Vielmehr unterliegt jemand einer Verkehrssicherungspflicht erst dann, wenn er in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenlage schafft – wie beispielsweise der Bauherr eines Bauvorhabens. Die praktische Bedeutung der Verkehrssicherungspflichten kann im heutigen Deliktsrecht gar nicht überschätzt werden. Denn die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes und der Instanzgerichte bringt regelmäßig neue Pflichtenbereiche hervor.
Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass der Bauherr seine ihn primär treffende Verkehrssicherungspflicht und seine diesbezüglichen Pflichtenstellungen dadurch verkürzen bzw. entlasten kann, dass er die Planung und Durchführung des Bauvorhabens zuverlässigen sachkundigen Fachleuten, sei es einem Architekten oder dem Bauunternehmer, überträgt. Bei wirksamer Delegation der Sicherungspflichten durch den Bauherrn auf den Architekten oder den Bauunternehmer verändern sich die Sorgfaltspflichten des Bauherrn inhaltlich dahin, dass sie lediglich noch in Form von Organisations-, Anweisungs- und Überwachungspflichten fortbestehen.