11.10.2024 | Baurecht / BGB

Hüten Sie sich vor dem Kalkulationsirrtum!

Verrechnet sich der Bieter bei einer Vergabe zu seinen Ungunsten, hat er weder ein Anfechtungsrecht noch ein Rücktrittsrecht. Was Kalkulationsirrtümer sind und ihre Folgen, erläutert Dr. Andreas Neumann, Rechtsanwalt mit den Schwerpunkten Bau- und Immobilienrecht.
Der Kalkulationsirrtum, auch Berechnungsirrtum genannt, ist eine der vielen Spielarten des Irrtums. Ein Irrtum liegt aus rechtlicher Sicht dann vor, wenn die jeweilige Erklärung vom Willen der betroffenen Person abweicht. Man spricht auch von Willensmängeln, obwohl nicht der Wille mangelhaft ist, sondern die Willenserklärung.
Seitdem es Verträge zwischen Menschen gibt, denken sie auch darüber nach, ob Irrtümer beim Vertragsschluss beachtlich sind oder sich die irrende Person an ihrer Erklärung festhalten lassen muss. So konnten bestimmte Irrtümer schon im Römischen Recht dazu führen, dass aufgrund von Dissens gar kein Vertrag zustande kam. Andere beachtliche Irrtümer berechtigen nach den klassischen Juristen ebenso wie in allen heute bekannten Rechtsordnungen weltweit zur Anfechtung des Vertrags, §§ 119 ff. BGB.
Hüten Sie sich vor dem Kalkulationsirrtum!
Bild: © f:data GmbH

Irrtümer ohne Einfluss auf Vertragsabschluss

Ist ein Irrtum für den Vertragsschluss schon nicht ursächlich oder zumindest mitursächlich, so kann man sich darauf im Nachhinein natürlich nicht berufen. Denn das widerspräche Treu und Glauben, § 242 BGB. So ist eine Anfechtung auch dann ausgeschlossen, wenn die Vertragsparteien zumindest das Gleiche meinten, also im Ergebnis eine unschädliche gemeinsame Falschbezeichnung im Vertrag vorliegt. Sie hätten den Vertrag ja auch dann in vorliegender Fassung geschlossen, wenn sie die korrekte Bezeichnung gekannt hätten. Auf den tatsächlichen Wortlaut kann sich dann keine der beiden Parteien berufen, sondern sie werden aufgrund der Vertragstreue daran festgehalten, worüber sie sich bei Vertragsschluss verständigt hatten.

Der Motivirrtum

Beim Motivirrtum wird eine Erklärung aufgrund fehlerhafter subjektiver innerer Erwartungen abgegeben, die der anderen Partei nicht zurechenbar sind und die nicht hätten rechtzeitig etwa aufgrund von Aufklärungspflichten ausgeräumt werden müssen. Solche mit der Realität nicht übereinstimmende Beweggründe berechtigen nur ausnahmsweise zur Anfechtung, so etwa im Falle des Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft (Eigenschaftsirrtum) nach § 119 Abs. 2 BGB, oder im Falle bestimmter Rechtsfolgeirrtümer.

Der Erklärungsirrtum

Im Falle des Verschreibens oder Vertippens etwa im Internet liegt ein Erklärungsirrtum vor, der regelmäßig zur Anfechtung berechtigt, wobei der Anfechtende unter Umständen schadensersatzpflichtig sein kann. Wenn eine solche Willenserklärung aber auf unzutreffenden Daten beruht, falschen Berechnungsfaktoren wie Wechselkurs, Einheitspreis oder Aufmaß oder der Gesamtvergütung, liegt kein Erklärungsirrtum, sondern ein Kalkulationsirrtum vor. Wie ein solcher Kalkulationsirrtum zu werten ist, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab.

Der offene Kalkulationsirrtum

Es wird unterschieden zwischen offenem und verdecktem Kalkulationsirrtum. Für den offenen Kalkulationsirrtum grundlegend ist der berühmte „Rubel-Fall“ des Reichsgerichts vom 30. November 1922, Az. VI 465 / 22. Dem Beklagten – einem ehemaligen Kriegsgefangenen – waren vom Kläger in Moskau für die Heimreise Sowjetrubel geliehen worden, mit der Maßgabe der Rückzahlung in Mark. Bei der Ermittlung des zurückzuerstattenden Betrags legte der Beklagte selbst allerdings einen viel zu hohen Wechselkurs zugrunde, den er bei Vertragsschluss auch verlautbarte, sodass ihm die Anfechtung zugebilligt wurde. Wenn die Berechnung mit in den Vertrag einbezogen wird und von beiden Seiten die Fehlerhaftigkeit nicht erkannt wird, kann auch eine Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB vorliegen. Wenn die andere Partei den Fehler erkennt und nicht darüber aufklärt, kommt auch eine Schadensersatzpflicht wegen Verschuldens bei Vertragsverhandlungen (culpa in contrahendo, c.i.c.) oder eine unzulässige Rechtsausübung nach Treu und Glauben in Betracht.

Der verdeckte Kalkulationsirrtum

Ein verdeckter Kalkulationsirrtum ist hingegen grundsätzlich unbeachtlich, siehe etwa das Urteil des BGH vom 7. Juli 1998. Unter Umständen muss der Vertragspartner aber aufgrund der vertraglichen Nebenpflicht der Rücksichtnahme nach § 241 Abs. 2 BGB auf einen solchen Fehler hinweisen. So lag es im instruktiven Falle des Urteils des Oberlandesgerichts Brandenburg vom 17. März 2016 – Az. 12 U 76 / 15.
Der Auftraggeber verklagte eine Zimmerei wegen der Nichterfüllung eines Bauvertrags im Rahmen eines Sporthallen-Neubaus auf Schadensersatz, §§ 5 Abs. 4, 6 Abs. 6, 8 Abs. 3 Nr. 2 VOB Teil B. Die Beklagte hatte sich am Vergabeverfahren beteiligt und erhielt den Auftrag, nachdem der Auftraggeber sie darauf hingewiesen hatte, dass ihr offensichtlich ein Kalkulationsirrtum unterlaufen sei. Die Beklagte berief sich auf ihr vermeintliches (tatsächlich nicht vorhandenes) Anfechtungsrecht, und die Klägerin vergab den Auftrag sodann an die um insgesamt 7,3 % höher bietende Zweitplatzierte.
Es liege zumindest dann ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot vor, so das OLG Brandenburg, wenn dem Bieter aus Sicht eines verständigen öffentlichen Auftraggebers nicht mehr zugemutet werden könne, sich mit dem irrtümlich zu niedrig kalkulierten Preis als einer auch nur annähernd gleichwertigen Gegenleistung für die zu erbringenden Werkleistungen zu begnügen.
Unter Berücksichtigung aller Details des konkreten Sachverhalts konnte diese Voraussetzung vorliegend letztlich bejaht werden. So standen etwa für die Positionen 01.05.01 bis 01.05.03 dem Angebot von lediglich EUR 4.172,00 netto ein Preis der Zweitplatzierten von EUR 45.193,84 netto gegenüber. Vorliegend hatte zudem der vom Auftraggeber für die Angebotsprüfungen nach § 16a VOB Teil A vor Zuschlagserteilung beauftragte Architekt das Angebot der Beklagten als nicht auskömmlich bewertet.
Bauprofessor-Fachthemen
+ Fachthemen +
Formen, Verfahren, Methoden -
alles rund um „Kalkulation“
Hier auf einem Blick »

Fazit

Die Detailfreude, mit der hier das Oberlandesgericht die Massivität des Irrtums begründen muss, um die erstinstanzliche Entscheidung des Landgerichts Frankfurt an der Oder aufrechterhalten zu können, ist als eine deutliche Warnung an die Bieter zu verstehen. Verrechnet sich der Bieter bei einer Vergabe zu seinen Ungunsten, hat er grundsätzlich weder ein Anfechtungsrecht noch ein Rücktrittsrecht, sondern ist an sein Angebot gebunden. Wegen der Formalitäten des Vergabeverfahrens kommt nur ganz ausnahmsweise eine nachträgliche Anpassung in Betracht. Und nur unter der strengen und für Argumentationen in die eine wie in die andere Richtung offenen Voraussetzung der Unzumutbarkeit nach allen ersichtlichen Umständen ist es dem Auftraggeber verwehrt, Schadensersatz im Hinblick auf die höheren Aufwendungen von der irrtümlich zu gering kalkulierenden Erstplatzierten zu erlangen.
Andreas Neumann
Ein Artikel von
Das könnte Sie auch interessieren:
Um Ihnen den bestmöglichen Service zu bieten, verwenden wir Cookies. Einige dieser Cookies sind erforderlich für den reibungslosen Ablauf dieser Website, andere helfen uns, Inhalte auf Sie zugeschnitten anzubieten. Wenn Sie auf „ Ich akzeptiere“ klicken, stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu.
Individuelle Cookie-Einstellungen Ich akzeptiere