Viele Bauarbeiter müssen zur Baustelle fahren, um ihre Arbeit zu verrichten. Diese Fahrten werden allerdings nicht immer als Arbeitszeit anerkannt und bezahlt. Wann welche Regelung gilt, klärt die Betriebswirtin Meike Seghorn.
Wann gilt die Anfahrtszeit als Arbeitszeit?
Bautarifverträge regeln neben der Vergütung auch die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten in der Bauindustrie. Welche Vorschriften wann und für wen gelten, ist abhängig von Gewerk und jeweiliger Situation.
Im § 5 des Rahmentarifvertrags der Dachdecker steht z. B.:
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Die Arbeitszeit beginnt und endet an der Arbeitsstelle. Der Betriebssitz ist die Arbeitsstelle, wenn der Arbeitnehmer dort Material auf- oder ablädt oder Arbeitseinweisungen entgegennimmt; ansonsten beginnt und endet die Arbeitszeit an der Baustelle.
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In den Fällen, in denen sich Arbeitnehmer an einem vereinbarten Treffpunkt sammeln, um von dort gemeinsam in einem vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Fahrzeug auf die Baustelle zu fahren, hat der Fahrer Anspruch auf seinen Stundenlohn für die Dauer der Fahrzeit.
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Bei Baustellen von größerer räumlicher Ausdehnung beginnt und endet die Arbeitszeit an der gemeinsam durch Arbeitgeber und Betriebsrat oder, wenn kein Betriebsrat besteht, einvernehmlich mit dem Arbeitnehmer bestimmten Sammelstelle innerhalb der Baustelle.
Fährt ein Mitarbeiter also direkt auf die Baustelle, muss die Fahrzeit nicht bezahlt werden. Laden die Mitarbeiter erst noch im Betrieb auf, ist die Fahrzeit Arbeitszeit und muss bezahlt werden. Fahren die Mitarbeiter ab einem Sammelpunkt zusammen, bekommt nur der Fahrer des Wagens die Zeit bezahlt.
Die Anfahrtszeit gilt als Arbeitszeit, wenn sie im Betrieb beginnt, z. B. beim Aufladen von Material.
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Umsetzung in der Praxis
Viele Betriebe einigen sich mit ihren Mitarbeitern auf eine eigene, feste Regelung. Diese kann z. B. festlegen, dass die Rückfahrt von der Baustelle bezahlt wird, die Hinfahrt aber nicht – oder andersherum.
Wenn Baustellen häufig weit weg liegen, können auch Sonderregelungen gelten. So übernimmt der Arbeitnehmer z. B. die Kosten für eine Fahrstunde, für den Rest zahlt der Arbeitgeber.
Sofern dies klar und vor allem schriftlich mit den Mitarbeitern vereinbart wird, ist fast alles erlaubt. Wichtig ist, dass der Mitarbeiter am Ende nicht schlechter gestellt ist als es das Gesetz oder der Tarifvertrag vorsieht. Wettbewerbsvorteil im Fachkräftemangel
In Zeiten des Fachkräftemangels werden vor allem diese unbezahlten Arbeitszeiten viel diskutiert. So kann ein Unternehmen bei Bewerbern punkten, wenn die Zeiten als Benefit bezahlt werden. Andere Unternehmen, die sich auf den Tarifvertrag berufen, gelten inzwischen häufig als überholt.
Bevor ein Unternehmen seine bisherige Regelung allerdings ändert, sollte genau durchgerechnet werden, welche Kosten auf das Unternehmen zukommen und ob sie auf den Verkaufspreis umlegbar sind.
Expertin-Tipp
„Wenn Sie überlegen, bisher unbezahlte Fahrzeiten zukünftig zu bezahlen, rechnen Sie den Aufwand genau durch. Lassen Sie Ihre Mitarbeiter die Fahrzeiten über einen Zeitraum von einem Vierteljahr gesondert erfassen (falls Ihre Zeiterfassung eine solche Auswertung noch nicht hergibt). Multipliziert mit dem Mittellohn Ihres Unternehmens erfassen Sie so die Mehrkosten. Kennen Sie auch die produktiven Stunden für den gleichen Zeitraum, können Sie nun ermitteln, um wie viel ihr Rohertrag pro Stunde steigen muss, damit Sie den Mehraufwand wieder einfahren.“