Baukalkulation / Angebot / Nachträge

Sittenwidrige Einheitspreise

Als sittenwidrig können Einheitspreise (EP) angesehen werden, die extrem unterhalb oder auch oberhalb der "üblichen Vergütung " bei einer Angebots- und/oder Nachtragskalkulation liegen bzw. in "einem auffälligen, wucherähnlichen Missverhältnis zur Bauleistung stehen". Von einem solchen Fall kann mit Bezug auf das Vergabe- und Vertragshandbuch (VHB-Bund Ausgabe 2017) in Richtlinie 510 (Leitfaden zur Vergütung bei Nachträgen) unter Tz. 2.1.1 sowie in der Richtlinie 321 (Vergabevermerk) unter Tz. 3.3.2 gesprochen werden, wenn "5- fach überhöhte Einheitspreise" vorliegen. Dann kann die dieser Preisbildung zugrunde liegende Vereinbarung sittenwidrig und damit nichtig sein. Zur Prüfung und Wertung wäre bei öffentlichen Bauaufträgen jeweils die Fachaufsicht führende Ebene einzubeziehen.
Zugrunde liegen können auch weitere Verhaltensweisen des Bieters, beispielsweise eine Kalkulation von Spekulationspreisen. Möglich wären auch Kostenverlagerungen mit der Folge von Preisverlagerungen bei der Kalkulation der Einzelkosten der Teilleistungen (EKT) und Gemeinkosten. Demgegenüber müssen Null-Einheitspreise nicht von vornherein unangemessene oder unvollständige Preisangaben in einem Angebot darstellen. Im Allgemeinen mag ein Null-Einheitspreis zunächst unrealistisch erscheinen, möglicherweise sprechen aber sachliche und wirtschaftliche Gründe für die Angabe.
Im Zusammenhang mit sittenwidrigen Preisen sei auch auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 14.03.2013 (Az.: 7 ZR 116/12) verwiesen mit folgenden Aussagen:
  • Steht eine kalkulierte Preisbildung für die Vergütungsanpassung bei Mehrmengen nach § 2 Abs. 3, Nr. 2 VOB/B oder eine Vergütung bei Änderungen des Leistungsinhalts nach § 2 Abs. 5 VOB/B in einem auffälligen, wucherähnlichen Missverhältnis zur Bauleistung, dann kann die der Preisbildung zugrunde liegende Vereinbarung sittenwidrig und damit nichtig sein.
  • Beträgt die Vergütungsanpassung bei Mehrmengen und bei geänderten Leistungen das 22-fache des üblichen Preises, dann kann ein auffälliges Missverhältnis vorliegen. Es ist dann wucherähnlich, wenn der über das übliche Maß hinausgehende Preisanteil sowohl absolut als auch im Vergleich zur Gesamtauftragssumme in dem Maße erheblich ist, dass er von der Rechtsordnung nicht mehr hinzunehmen ist. Bei diesen Voraussetzungen kann ein „sittlich verwerfliches Gewinnstreben des Auftragnehmers“ vermutet werden.
  • Kann der Auftragnehmer jedoch zur Vermutung einer wucherähnlichen Preisbildung beispielsweise den Nachweis erbringen, dass ihm bei der Preisbildung ein Berechnungsfehler zu seinen Gunsten unterlaufen ist, so verstößt die Preisbildung gegen Treu und Glauben. Verlangt der Auftragnehmer für die Mehrmengen und geänderten Leistungen einen auffälligen und im wucherähnlichen Missverhältnis stehenden Preis für die Bauleistungen, dann stellt dies nach Gerichtsauffassung eine „unzulässige Rechtsausübung“ dar. In solchen Fällen würde der Auftraggeber dann nur die übliche Vergütung mit Bezug auf § 632 Abs. 2 BGB schulden.
Zum anderen sei aber noch bemerkt, dass der Auftragnehmer bei umgekehrten Fällen im Sinne von zu niedrig kalkulierten, vereinbarten und abgerechneten Preisen für die Bauleistungen das Mengen-, Leistungs- und Preisrisiko meistens allein zu tragen hat. Liegen während der Bauausführung lediglich Mehrmengen als Abweichungen zwischen Bau-Soll und den tatsächlich ausgeführten Mengen bei einzelnen Leistungspositionen vor, die nicht mehr als + 10 % gegenüber der Soll- Menge ausmachen, so steht dem Auftragnehmer bei sittenwidrigen bzw. wucherähnlichen Einheitspreisen nicht unmittelbar ein Anspruch auf das Entgelt für die Mengen bis 110 % zu. Dies bliebe zu prüfen, sofern nicht bereits bei der Prüfung und Wertung des Angebots ein auffälliges Missverhältnis festgestellt wurde. Ein bisheriges Übersehen ist durchaus denkbar bei Leistungspositionen mit niedrigen Einheitspreisen und geringen Mengen.
Liegt bei der Prüfung die Vermutung nahe, dass es sich um sittenwidrige bzw. wucherähnliche Preise handelt, kann vom Bieter eine schriftliche Erklärung nach §§ 15, 15 EU und 15 VS, jeweils Abs. 1 in der VOB Teil A über die Kostenanteile der EP und die Offenlegung der Kalkulation bzw. herangezogenen Kalkulationsunterlagen bzw. -ansätze verlangt werden, wobei die Ergebnisse solcher Aufklärungen geheim zu halten sind. Für die Aufklärung sollten die Aussagen in den ergänzenden Preisblättern (EFB-Preis) 221 bzw. 222 nach VHB-Bund (Ausgabe 2017) sowie Formblatt 223 zur Aufgliederung der kalkulierten Einheitspreise sowie eine ggf. hinterlegte Urkalkulation herangezogen werden. Dies sieht auch die Richtlinie 321 - Prüfungs- und Wertungsübersicht - für öffentliche Bauaufträge im VHB-Bund unter Tz. 3.3.2 vor.
Eine analoge Regelung wird auch im "Handbuch für die Vergabe und Ausführung von Bauleistungen im Straßen- und Brückenbau (HVA B-StB)" im Teil 2 unter Tz. 2.4 - Prüfung und Wertung der Angebote - in Nr. 21 und 22 getroffen. Danach sind mögliche missverständliche Preise bei wesentlichen Leistungspositionen zu Hauptangeboten mithilfe eines Preisspiegels und bei Nebenangeboten aufgrund von Erfahrungen auf überhöhte und untersetzte Einheitspreise zu prüfen, insbesondere auch auf die Verlagerung von Preisbestandteilen. Bei Unklarheiten sind die betroffenen Bieter mit Terminsetzung zur Aufklärung in Textform aufzufordern. Den Bietern ist vorher mitzuteilen, bei welchen Leistungspositionen (Ordnungszahlen) ein Verdacht auf unverständliche Preise besteht. Bei der Bewertung der Aufklärung sind nur Tatsachen zu berücksichtigen.
Kann der Bieter nicht schlüssig nachweisen, dass seine EP sachgerecht kalkuliert wurden, dann hat die Vergabestelle schlüssig und anhand von Tatsachen (keine Mutmaßungen und subjektiven Einschätzungen) den Nachweis für die Missverhältnisse der Preise bzw. zur Angebotssumme zu erbringen. Gelingt dies, ist das Angebot wegen unvollständiger Preisangaben von der Wertung auszuschließen.
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