Was sind Rückstellungen?
Rückstellungen sind ungewisse Verbindlichkeiten, und zwar der Höhe, der Fälligkeit und der voraussichtlichen Realisierbarkeit nach. Sie haben die Aufgabe, einen vollständigen Schuldenausweis zu ermöglichen, eben auch dann, wenn deren Höhe nicht exakt feststeht. Damit dienen sie der finanzwirtschaftlichen Vorsorge.
Rückstellungen führen als Passivposten in der Bilanz zu einem späteren Zeitpunkt zu Auszahlungen oder Mindereinnahmen. Ist dagegen die Schuld zum Bilanzstichtag genau feststellbar, ist sie nicht als Rückstellung, sondern als Verbindlichkeit auszuweisen. In diesem Sinne dienen Rückstellungen einer periodengerechten Erfolgsermittlung. Welche Rückstellungen sind vorzunehmen?
Rückstellungspflichten und -wahlrechte regelt § 249 im Handelsgesetzbuch (HGB). Danach sind Rückstellungen verpflichtend zu bilden für: - drohende Verluste aus schwebenden Geschäften
- im Geschäftsjahr unterlassene Aufwendungen für Instandhaltung, die im folgenden Jahr innerhalb von drei Monaten nachgeholt wird
- Abraumbeseitigung, die im folgenden Geschäftsjahr nachgeholt wird
- Gewährleistungen, die ohne rechtliche Verpflichtung erbracht werden, z. B. Kulanzleistungen
Für andere als die genannten Zwecke besteht Passivierungsverbot nach § 249 Abs. 2 HGB. Damit sind darüber hinaus auch keine weiteren Aufwandsrückstellungen mehr möglich. Liegen werterhöhende Umstände noch bis zum Tag der Bilanzaufstellung für das abgelaufene Geschäftsjahr vor, sind sie zu berücksichtigen. Sie müssen jedoch bereits am Bilanzstichtag mit Bezug auf § 252 Abs. 1, Nr. 4 HGB vorgelegen haben.
Welche Voraussetzungen sind notwendig?
Die Bildung der Rückstellungen ist im Bauunternehmen in der Regel an folgende Voraussetzungen zu binden:
- Aus dem Eintritt des Ereignisses muss sich für das Unternehmen gegenüber einem Dritten eine wirtschaftlich belastende Verpflichtung ergeben. Diese Verpflichtung muss entweder rechtlich erzwingbar sein oder das Unternehmen kann sich der Verpflichtung aus faktischen bzw. wirtschaftlichen Gründen nicht entziehen.
- Eine Ursache für das Ereignis muss am Abschlussstichtag entstanden sein. Für die Ursache und den Zeitpunkt der Entstehung können sowohl rechtliche als auch wirtschaftliche Erwägungen ausschlaggebend sein.
- Der Eintritt des Ereignisses muss für das Bauunternehmen zwar vorhersehbar, darf aber nicht bereits sicher sein.
Rückstellungen in der Bilanz
Die Gliederung der handelsrechtlichen Bilanz nach § 266 HGB zum Jahresabschluss weist auf der Passivseite im Abschnitt B folgende Arten von Rückstellungen aus:
- Rückstellungen für Pensionen und ähnliche Verpflichtungen
- Steuerrückstellungen
- sonstige Rückstellungen
Zu den später zu zahlenden Pensionsrückstellungen als Altersversorgungsverpflichtungen für Beschäftigte im Unternehmen ist im Voraus nicht genau bekannt, ob und wann und in welcher Höhe Zahlungen zu erfolgen haben. Die Verpflichtung resultiert aus der Vergangenheit, die Inanspruchnahme ist in der Zukunft höchstwahrscheinlich. Zu unterscheiden ist bei Pensionsrückstellungen nach handelsrechtlicher Bewertung gemäß § 253 Abs. 2 HGB und steuerrechtlicher Bewertung nach § 6a EStG.
Steuerrückstellungen umfassen Steuern und Abgaben, die das abgelaufene Geschäftsjahr betreffen. Sie sind bis zum Jahresende entstanden, aber meistens der Höhe nach zum Bilanzstichtag noch nicht bekannt.
Was gehört zu den „sonstigen“ Rückstellungen?
Bei den sonstigen Rückstellungen kann es sich im Bauunternehmen beispielsweise um folgende Positionen handeln:
- Rückstellungen für Ansprüche aus Baumängeln als meistens umfangreichste Art mit Bezug auf die Mängelanspruchsfristen zu Bauleistungen nach VOB (4 Jahre) und BGB (5 Jahre).
- Kulanzrückstellungen für Mängelansprüche ohne rechtliche Verpflichtung, wenn beispielsweise die Mängelanspruchsfristen bereits abgelaufen sind.
- Rückstellungen für im Geschäftsjahr unterlassene Aufwendungen für Instandhaltung, die im folgenden Geschäftsjahr innerhalb von 3 Monaten nachgeholt wird, besonders für große Baumaschinen und Geräte wie Bagger, Turmkrane.
- Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften, z. B. bei bereits zum Bilanzstichtag vorliegenden Verlusten der unfertigen Bauleistungen auf Baustellen und den ggf. weiterhin anfallenden Verlusten im folgenden Jahr bis zum Abschluss des Bauauftrags, die handelsrechtlich vorzunehmen sind, jedoch nicht mehr in der Steuerbilanz bzw. Gewinnermittlung zu berücksichtigen sind.
- Rückstellungen handelsrechtlich aus Dauerschuldverhältnissen, wenn sich Erträge und Aufwendungen aus einem Geschäft in den Folgejahren nicht ausgleichen und sich daraus noch eine finanzielle Verpflichtung ableitet, z. B. bei Mietverträgen.
- Rückstellungen aus Abrechnungsverpflichtungen, wenn zur Bauleistung vertragsgemäß bereits vor dem Ende des Geschäftsjahres vom Auftraggeber Abnahme erfolgte, aber noch nicht in Rechnung gestellt wurde bzw. auch noch Verpflichtungen gegenüber Nachunternehmern vorliegen, ggf. auch in Verbindung mit Restleistungen, Baustellenräumung.
- Rückstellungen für Prozessrisiken, Rechts- und Sachverständigenkosten, wobei bereits anhängige Prozesse, an denen das betreffende Bauunternehmen als Beklagter oder Kläger auch beteiligt ist, als Aufwendungen können die voraussichtlichen später fälligen Aufwendungen für das Gericht und die eingebundenen Rechtsanwälte herangezogen werden.
- Rückstellung von Aufwendungen zur unterlassenen Abraumbeseitigung mit Bezug auf § 249 Abs. 1, Nr. 2 HGB, die im folgenden Geschäftsjahr nachgeholt werden.
- Rückstellungen für Aufwendungen für die Aufstellung und Prüfung des Jahresabschlusses, für die Aufstellung der betrieblichen Steuererklärung und einer anstehenden Betriebsprüfung.
- eine Rückstellung für ggf. erforderliche Aufwendungen für die Aufbewahrung von bereits vorliegenden und zu archivierenden Geschäftsunterlagen, soweit nach § 257 HGB und § 147 der Abgabenordnung Verpflichtungen für das Bauunternehmen zur Aufbewahrung bestehen.
- Rückstellungen für Sozialpläne, Abfindungen und Gratifikationen.
- Rückstellungen für Urlaubsansprüche sowie aus für die Arbeitnehmer vorliegenden Arbeitszeitguthaben bei einer Arbeitszeitflexibilisierung, wenn zum Bilanzstichtag noch Verpflichtungen des Bauunternehmens als Arbeitgeber bestehen.
- Rückstellungen ggf. aus einer Droh-Inanspruchnahme aus Bürgschaften.
- Rückstellung ggf. für indossierte Wechsel, wenn ein Haftungsrisiko fortbesteht.
- Rückstellung ggf. für drohende Schadenersatzleistungen, z. B. aus unerlaubten betrügerischen Handlungen des Unternehmens.
- Rückstellungen für eine festgestellte nicht zweckgebundene Inanspruchnahme von Zuschüssen und Fördermitteln, die wahrscheinlich zurückzuzahlen sind.
Wofür sind keine Rückstellungen zu bilden?
Rückstellungen sind handelsrechtlich - wie auch steuerrechtlich - für beispielsweise folgende Vorgänge bzw. Geschäftsfälle nicht zu bilden:
- Aufwendungen für Instandhaltung, die im Geschäftsjahr geplant waren, aber erst später als drei Monate nach Ende des Geschäftsjahrs durchgeführt werden und dafür Kosten anfallen.
- Aufwandsrückstellungen als Verbindlichkeiten "gegen sich selbst", einen bestimmten Aufwand zu rechtfertigen.
- Aufwendungen für Verpflichtungen zur Entsorgung von eigenen Abfällen.
- Verpflichtungen aus einer Baulast.
- Aufwendungen für durchzuführende Hauptversammlungen von Kapitalgesellschaften.
- Aufwendungen für Strafen und Geldbußen, wenn sie zugleich nicht auch als Betriebsausgabe zu behandeln sind.
Wann sind Rückstellungen aufzulösen?
Entfällt der Grund für eine vorgenommene Rückstellung in den Folgejahren, so ist die Rückstellung aufzulösen, und zwar im Jahr der Auflösung zu Gunsten eines sonstigen Ertrags und folglich gewinnerhöhend.
Folglich bliebe jährlich zu prüfen:
- ob und in welchem Umfang Rückstellungen noch für den ursprünglichen Zweck erforderlich sind,
- weiterhin bestehen bleiben sollen oder
- bei Wegfall des Grundes aufzulösen sind.
Sind Rückstellungen abzuzinsen?
Überschreitet die Restlaufzeit zu gebildeten Rückstellungen mehr als ein Jahr, hat eine Abzinsung zu erfolgen:
- handelsrechtlich nach § 253 Abs. 2 HGB
- steuerrechtlich nach § 6 Abs. 3 und 3a (e) im EStG
Für eine handelsrechtliche Abzinsung ist zunächst die voraussichtliche Restlaufzeit zum Bilanzstichtag zu bestimmen. Danach ist die handelsrechtliche Abzinsung für die Restlaufzeit mit entsprechenden durchschnittlichen Zinssätzen der vergangenen sieben Geschäftsjahre (bzw. von zehn Geschäftsjahren bei Pensionsrückstellungen) vorzunehmen. Der anzuwendende Marktzinssatz wird von der Deutschen Bundesbank ermittelt und monatlich bekannt gegeben. Grundlage bildet die Rückstellungsabzinsungsverordnung (RückAbzinsV).
Steuerrechtlich sind Rückstellungen mit einem Zinssatz von 5,5 % abzuzinsen. Mit dem Abzinsungsgebot soll Rechnung getragen werden, dass unverzinsliche Geldverpflichtungen weniger belastend sind als marktüblich verzinste Verbindlichkeiten, woraus sich eine Abzinsung auf den niedrigeren Teilwert ableitet.
Für die Abzinsung von Rückstellungen für Sachleistungsverpflichtungen ist der Zeitraum bis zum Beginn der Erfüllung maßgebend.
Rückstellungen mit einer Restlaufzeit von bis zu einem Jahr sind nicht abzuzinsen.
Ebenfalls ist keine Abzinsung vorzunehmen, wenn
- die betreffende ungewisse Verbindlichkeit nicht verzinslich ist oder
- Grundlage für die Rückstellung eine Anzahlung oder Vorauszahlung bzw. -leistung ist.
Besonderheiten bei der Abzinsung von Rückstellungen
Handelsrechtlich sind folgende Besonderheiten in Abhängigkeit der Restlaufzeit der Rückstellungen zu berücksichtigen:
- Die Abzinsung ist sowohl für Geldverpflichtungen (Pensionen und Renten) als auch Sachleistungsverpflichtungen vorzunehmen.
- Kleine Kapitalgesellschaften dürfen die Rückstellungen in einer Summe ausweisen.
- Einnahmen, die mit der Erfüllung der ausgewiesenen Rückstellungen anfallen, sind gegenzurechnen.
In der Regel verfügen die Bauunternehmen über brauchbare Erfahrungswerte zur Rückstellungsbildung, denn sie muss den wirtschaftlichen Verhältnissen Rechnung tragen. Das gilt besonders für Rückstellungen zu Mängelansprüchen für übergebene Bauleistungen auf Grundlage der Mängelanspruchsfristen. Sie sind in kaufmännisch vernünftiger Höhe anzusetzen. Maßstab dafür ist in der Regel der voraussichtliche Erfüllungsbetrag und nicht der Rückzahlungsbetrag. Zu beachten sind zum Erfüllungsbetrag ggf. bis dahin noch eintretende Kosten- und Preisänderungen. Methoden der Abzinsung bei Rückstellungen mit Rechenbeispiel
Handelsrechtlich wird im HGB nicht bestimmt, nach welcher Methode die Abzinsung buchhalterisch zu erfassen ist. Dies kann entweder erfolgen nach:
- der Bruttomethode
- der Nettomethode
Bei der Bruttomethode ist zunächst der künftige Erfüllungsbetrag (ggf. mit zu beachtenden künftigen Kostensteigerungen) zu ermitteln und danach abzuzinsen. Der resultierende Zinsertrag aus der Berechnung (Differenz zwischen Erfüllungsbetrag und den abgezinsten Barwerten) führt dann zu einem höheren Finanzergebnis und einem geringeren operativen Ergebnis zum Bilanzstichtag.
Die Barwerte sind auf Grundlage der oben vorgegebenen Abzinsungssätze zu ermitteln.
Bei der Nettomethode werden für die gebildete Rückstellung die berechneten abgezinsten Barwerte bestimmt und dann als Rückstellung erfasst. Danach verändert sich das Finanzergebnis nicht und das operative Ergebnis fällt gegenüber der Bruttomethode höher aus.
Ein Rechenbeispiel finden Sie hier. Bei der Abzinsung (Diskontierung) wird berechnet, wie viel heute ein Geldbetrag wert ist, wenn er zu einem früheren Zeitpunkt angelegt worden wäre.
Auch steuerrechtlich ist keine Methode zur Abzinsungsermittlung vorbestimmt. Zu empfehlen ist die Heranziehung von finanzmathematischen Methoden der Abzinsung. Stellen sich Differenzen zwischen den Abzinsungen sowie sich daraus ableitenden Ergebnisdifferenzen zwischen Handels- und Steuerrecht dar, sind diese als latente Steuern zu berücksichtigen.