Möglichkeit einer Stoffpreisgleitklausel
Eine Stoffpreisgleitklausel sollte für Baustoffe (in Ausnahmefällen auch für Betriebsstoffe) in baumachinenintensiven Gewerken mittels ministerieller Erlasse für öffentliche Bauaufträge des Bundes (bzw. geltenden eigenständigen Regelungen in Ländern und Kommunen, oft als Übernahme der Bundesregelungen) und nach Verfahrensweise in den Vergabehandbüchern zugestanden und ggf. vereinbart werden, wenn: extreme und sprunghafte Preisveränderungen ihrer Eigenart nach kurzfristig und in besonderem Maße eintreten, meistens auch mit Lieferengpässen in Verbindung stehen und nicht vorausschauend einschätzbar sind sowie
die Preisänderungen bei der Ausführung eines Bauauftrags wertmäßig einen hohen Anteil umfassen.
Grundsätzlich ist das bauausführende Unternehmen für die preislich günstige Beschaffung von Baustoffen zuständig. Sprunghafte Preiserhöhungen traten jedoch in kürzester Frist in letzter Zeit und gegenwärtig als Auswirkungen der Coronapandemie und außergewöhnlich als Folge des Ukraine-Kriegs im 1. Halbjahr 2022 in Verbindung mit weltweiten Lieferengpässen diverser Baustoffe ein.
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Heranzuziehende Regelungen
Zur Vergütung nach einer Stoffpreisgleitklausel und Abrechnung von Mehr- und Minderaufwendungen liegen folgende ministerielle Erlasse für öffentliche Bauaufträge des Bundes und Verfahrensregelungen in den Vergabehandbüchern vor, so zu: „Lieferengpässe und Preissteigerungen wichtiger Baumaterialien als Folge des Ukraine-Kriegs“ jeweils vom 25. März 2022 und vom 22. Juni 2022 mit Anwendungsverlängerung bis 31. Dezember 2022 sowohl für Hochbaumaßnahmen durch das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) sowie zu Baumaßnahmen im Straßen- und Brückenbau durch das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) und
Hochbaumaßnahmen im Vergabe- und Vertragshandbuch (VHB-Bund, Ausgabe 2017, Stand 2019) in den Formblättern 225 – Einheitliche Fassung – und neu 225a (Ausgabe Juni 2022) bei Verzicht auf den Basiswert 1 bei der Berechnung sowie 228 (Stoffpreisgleitklausel zu Nichteisenmetallen) und den zugehörigen Richtlinien sowie Baumaßnahmen des Straßen- und Brückenbaus nach HVA B-StB (Ausgabe August 2019) im Teil 1 unter Tz 1.3 (Nr. 19 - 22), unter Tz. 1.4 (Nr. 43) sowie im Teil 3 unter Tz. 3.2 (Nr. 43 und 44) und den Vordrucken 141 und 145 sowie neu 141a und 145a (Ausgabe Juni 2022) bei Verzicht auf den Basiswert 1 mit Erläuterungen.
Das Schreiben des BMI vom 21. Mai 2021 und vom BMDV vom 23. Juni 2021 zu „Lieferengpässen und Stoffpreisänderungen diverser Baustoffe“ in Verbindung mit der Coronapandemie wurde zum 22. Juni 2022 aufgehoben, da sie mit den neueren Erlassen keine eigenständige Bedeutung mehr haben.
Grundlagen zur Abrechnung und Vergütung
Als Voraussetzungen für die Abrechnung und Vergütung von Mehraufwendungen bei der Stoffpreisgleitklausel nach ministeriellen Erlassen und Verfahrensregelungen in den Vergabehandbüchern sind als Aspekte zunächst hervorzuheben und zu prüfen,
ob die einzubeziehenden Stoffarten auch als Produktgruppen nach den Erlassen vorgesehen sind und auch vom Statistischen Bundesamt als gewerbliche Produkte (mit GP-Nummern) im Erzeugerpreisindex mit Indizes zur Entwicklung der Baumaterialpreise aufbereitet und veröffentlicht werden, ob zwischen Angebotsabgabe und dem Zeitpunkt der vereinbarten Fertigstellung allgemein mindestens 10 Monate, nur in begründeten Fällen mindestens 6 Monate liegen und bei Folgen des Ukraine-Kriegs nach o. a. Erlassen (befristet bis 31. Dezember 2022) bei neuen Vergabeverfahren ein Monat liegt, dass der Anteil des jeweiligen Stoffes wertmäßig mindestens 1 % der, von der Vergabestelle geschätzten, Auftragssumme (ohne Umsatzsteuer) des konkreten Vergabeverfahrens betragen muss, wobei diese Aufgreifschwelle nach den Erlassen zu Folgen des Ukraine-Kriegs seit 22. Juni 2022 auf 0,5 % abgesenkt wurde. Der Anteil ist aus den Kostenanteilen der zu gleitenden Stoffmengen der betroffenen Positionen im Leistungsverzeichnis (LV) und den marktüblichen Preisen vom Auftraggeber (AG) zu ermitteln. In Ausnahmefällen kann auch eine Stoffpreisgleitklausel für Betriebsstoffe bei baumaschinenintensiven Gewerken vereinbart werden, so beispielsweise bei Maßnahmen des Bundesfernstraßenbaus nach HVA B-StB.
Abrechnung und Vergütung mit Basiswert 1
Zunächst führt der Auftraggeber in einem Verzeichnis (o. a. Formblatt 225 bzw. 145) zur Aufforderung zur Abgabe eines Angebots jene Stoffe auf, die der Klausel unterliegen können. Gleichzeitig führt er dort auch die "Basiswerte 1" für die jeweilige Stoffart zum Zeitpunkt der Versendung der Vergabeunterlagen als Nettopreis auf. Der "Basiswert 1" ersetzt den früher im Formblatt enthaltenen Begriff "Marktpreis". Mit der Änderung erfolgte eine Klarstellung bezüglich der Grundlage für die Ermittlung von Mehr- und Minderaufwendungen. Das Formblatt ist den Vergabeunterlagen beizufügen, weiterhin ein in den o. a. Erlassen in der Anlage vorgesehenes Hinweisblatt zur Wirkungsweise der Stoffpreisgleitklausel.
Der Basiswert 1 stellt zunächst unverändert den realen Stoffpreis zum Zeitpunkt der Versendung der Vergabeunterlagen dar, den der Auftraggeber aus dem arithmetischen Mittel von Angeboten dreier einschlägiger Lieferanten ermitteln soll. Dieser Basiswert 1 wird anschließend zweimal fortgeschrieben, zunächst auf den Basiswert 2 zum Zeitpunkt der Angebotseröffnung und danach auf den Basiswert 3, der zum Abrechnungszeitpunkt maßgebend ist. Damit soll sichergestellt werden, dass die Stoffpreisgleitklausel der Rechtsprechung folgt. Bei der Abrechnung sind die Mehr- und Minderaufwendungen zu bestimmen. Sie ergeben sich jeweils für die im Verzeichnis aufgeführte Stoffart, d. h. für jede angegebene Ordnungszahl, aus der Differenz des Preises vom Tag des Einbaus bzw. der Verwendung und des vom Auftraggeber vorgegebenen Basiswertes, und zwar für die nachgewiesene Ist-Menge. Abrechnung mit Verzicht auf Basiswert 1
Die o. a. Erlasse vom 22. Juni 2022 zu Folgen des Ukraine-Kriegs sehen eine alternative Handhabung der Stoffpreisgleitklausel mit Verzicht auf den Basiswert 1 vor, wenn er nicht verfügbar ist.
Als Grundlage für die Preisfortschreibung wird zum bezuschlagten Angebot in dem heranzuziehenden Formblatt 225a bzw. zu den Vordrucken 141a und 145a der Vergabehandbücher auf den jeweils angegebenen Stoffpreis (als Anteil der Einzelkosten ohne Zuschläge für Baustellengemeinkosten (BGK), Allgemeine Geschäftskosten (AGK) sowie Wagnis und Gewinn) zurückgegriffen. Dieser Stoffpreis wird mit dem Basiswert 2 gleichgesetzt und danach zum Basiswert 3 fortgeschrieben.
Zu prüfen bliebe, ob der Stoffpreis auch wirtschaftlich ist, ggf. durch Vergleich mit Stoffpreisen anderer Angebote. Evtl. ist eine Aufklärung erforderlich. Wird das Formblatt 225a angewendet, werden Stoffpreise nicht nachgefordert.
Weitere Aspekte zur Vergütung
Zu beachten sind dabei weiterhin folgende Aspekte:
Als ausgeführte Mengen (Ist-Mengen) gelten nur jene Mengen, für deren Einbau nach dem Vertrag auch eine Vergütung zu gewähren ist. Die Verwendung der Stoffe ist durch den Auftragnehmer mit prüfbaren Aufzeichnungen zu belegen – nach Ordnungszahl, Menge des Stoffes und Zeitpunkt des Einbaus – beispielsweise mit einem Aufmaß. Wenn im Vertrag eine Pauschalierung bzw. Limitierung des Preises erfolgte, sind ebenfalls die tatsächlich eingebauten Mengen heranzuziehen. Werden Mehraufwendungen ermittelt, hat sich das Bauunternehmen als Auftragnehmer mit 10 % der Mehraufwendungen als Selbstbeteiligung bei Preisgleitklauseln zu beteiligen. Bei einer nachträglichen Vereinbarung einer Stoffpreisgleitklausel in einem bestehenden Vertrag ist nach o. a. Erlassen mit den Auftraggebern eine Selbstbeteiligung seit 22. Juni 2022 nicht mehr in Höhe von 20 %, sondern nur zu 10 % vorzusehen. Liegen Stoffpreissenkungen vor, hat der Auftragnehmer die ersparten Aufwendungen von seinem Vergütungsanspruch abzusetzen, kann aber mindestens den Betrag der Bagatelle einbehalten. Mehr- und Minderaufwendungen werden erst vergütet, wenn Bagatellgrenzen bei Preisgleitklauseln allgemein von 2 % der Abrechnungssumme der im Verzeichnis für die Stoffpreisgleitklausel aufgeführten Leistungspositionen mit ihren Ordnungszahlen überschritten werden. Vermeidbare Mehraufwendungen werden nicht vergütet. Das könnte der Fall sein, wenn das Bauunternehmen schuldhaft Vertragsfristen überschritten hat und dadurch die Differenz aus Mehr- und Minderaufwendungen zu Ungunsten des Auftraggebers verschoben wurde.
Sollten Stoffpreissenkungen eingetreten sein, ist der Auftragnehmer verpflichtet, die ersparten Minderaufwendungen von seinem Vergütungsanspruch abzusetzen bzw. gegenzurechnen. Sind sowohl Minder- als auch Mehraufwendungen zu erstatten, so werden diese getrennt ermittelt und gegeneinander aufgerechnet.
Wird von einem Bauunternehmen als Hauptunternehmer (HU) bzw. Generalunternehmer (GU) die Weitergabe von Bauleistungen an einen Nachunternehmer (NU) vorgenommen, kann dazu auch eine entsprechende Regelung zur Erstattung von Mehraufwendungen getroffen werden, wenn durch den Nachunternehmer nachgewiesen wird, dass bei ihm auch tatsächlich Mehraufwendungen entstanden sind. Mehr- oder Minderaufwendungen können vom Bauunternehmen bereits bei einer Abschlagsrechnung geltend gemacht werden. Sind solche Aufwendungen abzurechnen, so hat das Bauunternehmen dem Auftraggeber über die Verwendung der Stoffe prüfbare Aufzeichnungen vorzulegen, aus denen die Menge der Stoffe und der Zeitpunkt des Einbaus, der Lieferung bzw. der Verwendung hervorgehen. Für die Abrechnung von Mehr- und Mindermengen liefert auch der von den Bauverbänden (DDB und ZDB) herausgegebene "Leitfaden – Berechnung von Mehr- und Minderaufwendungen bei der Anwendung von Stoffpreisgleitklauseln in Bauverträgen (2015)" ausführliche Grundlagen sowie Berechnungsbeispiele.
Zu den Erlassen liegt vom Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (HDB) auch eine den Erlassen angepasste „Orientierung für Bauunternehmer zu Stoffpreisgleitung und Vertragsanpassung (Stand 27. Juni 2022)“ vor.