Ursache der Lieferengpässe
In Verbindung mit der Coronapandemie verschärften sich seit dem 2. Quartal 2021 sowie in Folge des Ukraine-Kriegs beispiellos Probleme, diverse Baustoffe (Baumaterialien) rechtzeitig für die Bauausführung zu beschaffen. Betroffen sind sowohl der Hoch-, Tief- und Verkehrsbau als auch Ausbaugewerke, verknüpft mit besonders starken Preissteigerungen bei Baustahl, Bauholz, Erdölprodukten u. a. 
Lieferengpässe bei Baustoffen als Auswirkung der Coronapandemie und des Ukraine-Kriegs
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Folgen von Lieferengpässen
Bei Lieferengpässen können als Folgen auftreten:
höhere Kosten bei der Bauausführung gegenüber vorab eingeschätzten und kalkulierten Kosten, in der Folge verbunden mit steigenden Baupreisen und höheren Kalkulationsrisiken bei künftigen Angeboten und Bauaufträgen, ggf. Vertragsstrafen gegenüber den Bauausführenden infolge Bauverzug bei bereits laufenden Bauverträgen.
Einfluss von Lieferengpässen auf Ausschreibung, Angebot und Vertrag
Lieferengpässen werden sich im Allgemeinen unterschiedlich auswirken, je nachdem, ob eine Baumaßnahme:
erst auszuschreiben und zu vergeben ist oder bereits die Vergabe erfolgte, Bauverträge geschlossen wurden und die Bauausführung läuft,
nur eine kurze Ausführungszeit wie für handwerkliche Leistungen oder eine längere, über Monate laufende Bauzeit wie meistens bei öffentlichen Bauaufträgen umfasst.
Grundsätzlich sind laufende Bauverträge wie vereinbart zu realisieren. Ausnahmen mit eventuellen Anpassungen kann und wird es in der Regel nur bei besonders begründeten Fällen geben. Dies kann sich bei öffentlichen Bauaufträgen ggf. aus § 58 der Bundeshaushaltsordnung (BHO) und den dazu ergangenen Verwaltungsvorschriften ableiten.
Regelungen in Verbindung mit Coronapandemie und Ukraine-Krieg
„Lieferengpässen und Stoffpreisänderungen diverser Baustoffe“ vom 21. Mai 2021 durch das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) in Verbindung mit der Coronapandemie, der am 22. Juni 2022 aufgehoben wurde, da er mit nachfolgend aufgeführten neuen Regelungen zu Lieferengpässen als Folge des Ukraine-Kriegs keine eigenständige Bedeutung mehr hat,
zu „Lieferengpässen und Preissteigerungen wichtiger Baumaterialien als Folge des Ukraine-Kriegs“ vom 25. März 2022 als gleichlautende Erlasse zu:
Hochbaumaßnahmen des Bundes durch das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) und
Baumaßnahmen im Bereich der Bundesfernstraßen durch das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV),
zunächst geltend bis 30. Juni 2022 und mit gleichlautenden ergänzenden Erlassen vom 22. Juni 2022 des BMWSB und BMDV verlängert bis 31. Dezember 2022.
Die Erlasse entfalten keine Bindungswirkung für Bauverträge zwischen privaten Partnern.
Mögliche Anwendung der Stoffpreisgleitklausel
Um extremen Preissteigerungen zu Baumaterialien sowie aus Lieferengpässen entgegenwirken zu können, wurden die Produktgruppen der Baustoffe sowie ausnahmsweise auch von Betriebsstoffen bei maschinenintensiven Baugewerken für die Anwendung einer Stoffpreisgleitklausel als Instrument bei öffentlichen Bauaufträgen erweitert. Mit den Erlassen vom 22. Juni 2022 erfolgten weitere inhaltlichen Änderungen und Klarstellungen zur Anwendung einer Stoffpreisgleitklausel, beispielsweise mit noch umfangreicherer Einbeziehung von Stoffarten sowie Änderungen zur Aufgreifschwelle, Bagatellgrenzen, der Möglichkeit auf Verzicht des Basiswertes 1 sowie Verfahrensaussagen bei bereits bestehenden Bauverträgen, laufenden und neuen Vergabeverfahren.
Grundlagen zur Verfahrensweise liefern hierzu die speziellen Aussagen in den Vergabehandbüchern, näher erläutert unter:
Auswirkungen bei bestehenden Bauverträgen
Als bestehende Verträge gelten nach Tz. IV in o. a. Erlassen alle Verträge, die bis zu 14 Kalendertage nach Kriegsausbruch, d. h. vor dem 11. März 2022 ohne Vereinbarung einer Stoffpreisgleitklausel submittiert wurden. Eine nachträgliche Einbeziehung der Stoffpreisgleitklausel kann infrage kommen, jedoch nur aus Preissteigerungen, die nach Kriegsausbruch eingetreten sind. Danach vereinbarte Preisgleitungen gelten dann bis zum Vertragsende weiter.
Folgende weitere Sonderheiten bei öffentlichen Bauaufträgen leiten sich ab:
Sind Baumaterialien nachweislich nicht (tatsächliche Unmöglichkeit) bzw. vorübergehend nicht durch das Bauunternehmen zu beschaffen, ist von einem Fall höherer Gewalt bei Bauausführung bzw. einem anderen nicht abwendbaren Ereignis im Sinne von § 6 Abs. 2 Nr. 1 in der VOB Teil B auszugehen. Schadensersatzansprüche gegen das Bauunternehmen entstehen dadurch nicht, umgekehrt auch kein Abnahmeverzug durch den Auftraggeber. Dies kann aber nicht pauschal angenommen werden, sondern bliebe jeweils im Einzelfall zu prüfen. Die Beweispflicht in einem solchen Fall läge beim Bauunternehmer, wenn er sich darauf beruft. Bei Lieferengpässen kann auch der Umstand einer Behinderung der Bauausführung mit Bezug auf § 6 Abs. 2 Nr. 1c in VOB/B vorliegen, die vom Bauunternehmen dem Auftraggeber schriftlich anzuzeigen wäre. Ableitend daraus kann eine Verlängerung der Ausführungsfrist einschließlich eines Zuschlags für die Wiederaufnahme der Bauausführung folgen. Sind die Baumaterialien vom Bauunternehmen zwar zu beschaffen, jedoch nur zu höheren Einkaufspreisen als dafür kalkuliert, könnte eine Störung der Geschäftsgrundlage zum Vertrag nach § 313 BGB vorliegen. An den Nachweis einer Nichtverfügbarkeit von Baumaterialien sollten keine überspannten Anforderungen gestellt werden, es genügt beispielsweise die Vorlage von Absageschreiben von 3 Baustofflieferanten.
Ein Anspruch auf Preisanpassungen durch das Bauunternehmen würde dann ausscheiden, wenn eine Stoffpreisgleitung nachträglich vereinbart wurde.
In o. a. Erlassen vom 22. Juni 2022 wurde auch klargestellt, dass Preisanpassungen aus Störungen nach § 313 Einzelfallentscheidungen bleiben und keine dafür maßgebende pauschale Größe mehr benannt wird.
Der zunächst vorgesehene erhöhte Selbstbehalt bei einer nachträglich vereinbarten Stoffpreisgleitung wird neu auf 10 % reduziert.
Beachtung zu Verträgen mit privaten Bauherrn
Aufgrund der strengen Regeln zur Stoffpreisgleitklausel bei öffentlichen Bauaufträgen wird sich diese nicht in gleicher Art und Weise mit privaten Bauherren als Besteller und ggf. Verbraucher vereinbaren lassen und damit nicht gleichermaßen praktische Bedeutung erlangen. Weder im BGB noch in der VOB Teil A wird ausdrücklich geregelt, ob und in welcher Form eine Stoffpreisgleitklausel für eine Baumaßnahme vorzusehen ist. Der Bauhandwerker kann seinem Kunden die Baustoffpreissituation darlegen und ggf. mit „Zusatzvereinbarungen“ erreichen, dass:
- der Kunde die Baustoffe ggf. selbst bestellt, bezahlt und dem Bauunternehmen beistellt,
- Angebote „freibleibend“, unverbindlich oder nur mit zeitlich kurzfristigen Bindefristen eingegangen werden.